Drachentau
Boden, hörte Tumaros Schrei und Stille trat ein. Sie hob den Kopf und schaute zum Fenster. Ihr ganzer Körper bebte.
»JAKOB!«, schrie sie mit aller Verzweiflung und rannte hinaus. »JAKOB!«
Tumaros war fort. Emilia rannte zum Waldrand. »JAKOB! JAKOB!«
Dann sah sie ihn. Übel zugerichtet, mit verkohltem Fell, lag er unnatürlich verkrümmt auf dem Boden. Emilia lief zu ihm und sank auf die Knie.
»Jakob«, schluchzte sie, »Jakob, bitte verlass mich nicht. Nein.«
Jakob öffnete die Augen und sah sie müde an. »Emilia«, sagte er leise, nach Luft ringend. »Emilia ... meine Liebe ... ich ... war ... ein ... Narr ... bitte ... verzeih ... mir.«
Emilia hielt seinen Kopf in den Händen, hemmungslos liefen ihr die Tränen aus den Augen. »Stirb nicht Jakob. Bitte stirb nicht. Bleib bei mir. Bitte. Werde wieder gesund. Ich brauche dich doch. Hörst du.«
»Emilia ... kümmere ... dich ... um ... Bernhard ... und ... Rosa.«
Emilia bedeckte Jakobs Gesicht mit Küssen, legte ihren Kopf auf seine Brust und schluchzte laut.
»Verlass mich nicht Jakob. Bitte nicht.«
»Emilia ...«
Jakob tat noch einen letzten mühsamen Atemzug. Dann verließen ihn die Lebensgeister. Der Sog zog ihn in die Tiefe. Um ihn herum wurde es schwarz. Aus der Ferne hörte er ein letztes Mal Emilia seinen Namen rufen. Dann war es still. Sein Gesicht erstarrte. Seine Haut erblasste und der letzte Rest Luft wich aus seiner Lunge. Jakob war tot.
Bernhard saß in der kleinen Kellerkammer, die Arme um die Knie geschlungen und lauschte. Es war dunkel. Nur wenige Geräusche drangen von außen herein. Die Zeit schien stillzustehen. Er versuchte, bis hundert zu zählen. Immer wieder, nur um nicht verrückt zu werden. Eine Maus lief über seine Füße. Er griff nach ihr, verfehlte sie und sie verschwand in der Dunkelheit. Muffige Kälte umfing ihn. Er begann, von Neuem zu zählen. Bei neunzig hielt er inne. Der Boden vibrierte, leise, sanft, kaum spürbar. Sein Herz schlug wild. Er sprang auf und öffnete die Luke.
Die Küche war leer. Die Tür stand offen. Bernhard kletterte hinaus und trat vor die Hütte. Gespenstische Stille empfing ihn. Er wagte nicht zu rufen und lief zum Mittelweg. Beunruhigt schaute er um sich und lief weiter zum Waldrand. Dort sah er Emilia am Boden, sie sich laut weinend über den entstellten Jakob beugte.
»Emilia!«, kreischte Bernhard und rannte zu ihr. Jakob regte sich nicht mehr. Bernhard sank zu Boden, konnte die grausame Wahrheit nicht fassen.
»Es ist meine Schuld. Es ist meine Schuld«, brach es aus ihm heraus. Emilia hob den Kopf. Bernhards Weinen brachte sie wieder zur Besinnung. Sie fasste ihn am Arm. »Komm, hilf mir, ihn ins Haus zu tragen.«
»Emilia, wenn ich das gewusst hätte, ich wäre nicht weggelaufen. Bitte glaub mir.«
»Es ist nicht deine Schuld, Bernhard. Du musstest gehen. Komm, hilf mir. Wir müssen ihn in die Hütte bringen. Wir wissen nicht, ob der Drache zurückkommt.«
Sie standen auf und Bernhard fasste Emilias Arm.
»Es tut mir so leid, Emilia.«
»Ich weiß.«
Emilia wandte sich ab, damit Bernhard die wieder aufsteigenden Tränen nicht sah. Bernhard war noch ein Kind, aber durch sein Drachenblut ungewöhnlich weit entwickelt. Äußerlich sah er aus wie ein Mann und verfügte auch über dessen Kräfte. Er fasste Jakobs Oberkörper und griff unter seine Arme. Es knackte. Emilia nahm seine Beine und so trugen sie ihn in die Hütte.
Sie legten ihn auf sein Bett. Dorthin, wo Emilia am Morgen noch gelegen hatte und glücklich erwacht war. Bernhard stahl sich leise hinaus und ließ Emilia allein. Diese nahm eine Schüssel mit Wasser, wusch Jakob zärtlich das Gesicht, entfernte sanft die Spuren von Ruß und Sand. Sie nahm seine Hände, tauchte sie in das Wasser, rieb vorsichtig jeden einzelnen Finger mit einem Waschlappen ab. Sie wusch ihm die Arme, strich mit leisen Bewegungen über seine Füße. Sie löste die verkohlten Reste seines Gürtels und seiner Hose, wusch ihm die Beine und als Letztes strich sie mit kreisenden Bewegungen den Lappen über seinen Bauch. Vorsichtig reinigte sie seine Wunden.
Dann stand sie auf und holte Jakobs besten Anzug aus dem Schrank. Sie konnte sich kaum erinnern, ihn einmal damit gesehen zu haben. Aber für seine letzte Reise sollte er ihn tragen. Sie streifte ihn Jakobs leblosem Körper über, faltete seine Hände über seinem Bauch, setzte ihm seine Mütze auf und drückte ihm noch einmal fest die Augen zu.
»Gute Reise, Jakob, wo immer du jetzt
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