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Drachentau

Drachentau

Titel: Drachentau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula Roose
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fortsetzte. Der Tag neigte sich dem Ende zu, als sie den Waldrand erreichten und über freies Feld weiterliefen. Der Mond ging auf, schien hell und tauchte die Landschaft in ein unwirkliches Licht. Lina hatte sich längst auf Bernhards Schulter niedergelassen und ließ sich tragen. Aber sobald Bernhard sich hinsetzte, trieb sie ihn wieder zur Eile an. Gegen Morgengrauen erreichten sie einen Eichenhain.
    Bleiern müde und mit schmerzenden Beinen setzte Bernhard sich auf einen Felsen am Wegrand. »Egal, was du sagst, Lina, ich brauche eine Pause und werde jetzt mindestens zwei Stunden schlafen. Sonst bin ich tot, bevor wir ankommen.«
    Bernhard legte sich ins Moos, rollte sich zusammen und Lina flog auf eine Eiche, um dort einen Schlafplatz zu suchen. Nach genau zwei Stunden weckte sie Bernhard mit lautem Zwitschern und trieb ihn an weiterzugehen. Keinesfalls ausgeschlafen stand er auf. Schlecht gelaunt, den Wald kaum noch wahrnehmend, folgte er müde Linas Wegweisung.
    Immer tiefer ging es in den Wald, die Bäume standen dichter, das Licht nahm ab. Bernhard kamen Zweifel, ob es nicht irrsinnig war, sich von einem Vogel leiten zu lassen. Aber er horchte auf sein Herz und es fühlte sich richtig an. Sein Schritt war schwer. Der Weg wurde schmaler und immer öfter leitete Lina ihn durch das Unterholz. Er biss die Zähne zusammen. Jede Pause überwachte seine Begleiterin und ließ ihn nicht länger als unbedingt nötig sitzen. Er hatte schon vor Stunden die Orientierung verloren. An Umkehr war nicht mehr zu denken. Wohin hätte er auch umkehren sollen?
    Der Tag neigte sich und die runde, leuchtende Scheibe des Vollmonds trat an den Himmel. Bernhard seufzte. Er erinnerte nicht, wann er das letzte Mal auf einem richtigen Weg gegangen war und arbeitete sich durch das Dornengestrüpp vorwärts. Lina saß auf seiner Schulter, eng an seinen Hals gelehnt. Bernhard spürte, dass der kleine Vogel sich fürchtete. Das Blätterdach wurde dichter, die Nacht schwärzer. Das blasse Mondlicht drang nicht bis zum Waldboden vor. Bernhard sah den Weg nicht mehr, Lina konnte ihn nicht mehr zeigen. Die Füße schmerzten bei jedem Schritt, er stieß sich den Kopf an Baumstämmen oder blieb an Dornen hängen. Es musste längst um Mitternacht sein, als Bernhard die Kräfte zu verlassen drohten.
    Er hielt inne und streichelte zart über Linas Flügel. »Jetzt hast du mich umsonst geführt mit all den Strapazen, kleiner Vogel. Wir haben es nicht geschafft. Der Versammlungsplatz ist zu weit weg. Ich weiß nicht, wo wir sind. Ist auch nicht mehr wichtig. Ein Zuhause habe ich nicht, in das ich zurückkehren könnte.«
    Bernhard ließ sich auf den Boden sinken. Zu seiner Überraschung empfing ihn ein weicher Moosteppich. In diesem Moment gab eine Wolke den Mond frei und er fand sich auf einer kleinen Lichtung. Um ihn herum standen sieben uralte Bäume mit mächtigen Stämmen. Der Mond erleuchtete den Platz und schien zwischen den Bäumen ein blasses Licht zu entzünden, dass wie eine aufleuchtende Kerze mit zunehmender Nahrung immer heller wurde. In dem Licht erschienen die Konturen von Frauen, erst blass, dann deutlicher werdend, als kämen sie aus einer anderen Welt. Alle trugen eine Krone aus Blättern. Zwischen einer Birke und einer Linde sah er die einzige Frau mit einer goldenen Blätterkrone und an ihren langen blonden Haaren erkannte er Birkalinde. Bernhard erhob sich und Birkalinde kam einen Schritt auf ihn zu.
    »Spät kommst du, müder Wanderer. Doch nicht zu spät. Stehe auf und empfange unseren Schutz.«
    Bernhard drehte sich langsam um sich selbst. Er sah sechs Frauen. Ein freier Platz neben einer Esche blieb dunkel. Die Feen schritten feierlich auf ihn zu und erhoben über seinem Kopf ihren Zauberstab. Die Spitzen berührten sich in der Mitte, schienen miteinander zu verschmelzen. Als Letzte hob Birkalinde ihren Stab und krönte mit seiner Spitze die anderen. Ein helles Licht fiel aus den goldenen Birkenblättern, entzündete die Spitzen der anderen Stäbe zu einer hellen Flamme und floss in einem breiten Strom auf Bernhard hinunter, bis dieser hell erleuchtet war und sein Fell zu schimmern begann. Er atmete tief. Ihm wurde schwindelig. Der Boden unter seinen Füßen schwankte. Aber er verlor nicht den Halt.
    Birkalinde stimmte eine fremde Melodie an. Mit heller klarer Stimme begann sie leise, wurde lauter und lauter. Nach und nach stimmten alle Feen mit ein, bis der ganze Wald in fremden, nie gehörten Tönen zu singen schien.

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