Drachentau
unruhigen Traum fiel. Er sah sich auf dem Dorfplatz. Die Bären zeigten mit Fingern auf ihn, schrien: »Nieder mit dem Drachen!« Er hielt sich die Ohren zu und wandte sich um, da sah er seine Mutter und Tumaros mit rot glühenden Augen, der sie um einen Spieß wickelte und langsam röstete, während sie erbärmlich schrie und jammerte. Er versuchte zu ihr zu gelangen, sprang über die Schlucht. Aber sie war zu breit und er landete in einem unendlichen Fallen, begleitet von Tumaros hässlichem Lachen und einer gnadenlosen Stimme, die immer wieder: »Du musst ihr helfen« rief, »du hast dich nicht genug angestrengt.«
Schweißgebadet erwachte Bernhard. Seine Knochen schmerzten, seine Kehle brannte. In der Ferne hörte er einen Bach plätschern, aber er stand nicht auf, denn Durst und Schmerz waren eine gerechte Strafe für sein Versagen.
Bernhard lehnte sich an den Baum. Die Morgensonne glitzerte durch das herbstgoldene Blätterdach. Vögel zwitscherten um die Wette, aber Bernhard hörte und sah es nicht. Er schloss die Augen und ging in Gedanken zurück in sein Fallen im niemals endenden Abgrund.
Wie lange er so dasaß, wusste er nicht. Als er die Augen öffnete, stand eine Frau ihm gegenüber und sah ihn mit klaren blauen Augen an. Sie hatte hüftlange, blonde Haare, ein Kleid aus grüner Seide gewebt, mit einem weißen Gürtel aus Birkenrinde, in dem ein Birkenzweig steckte. Auf ihrem Haupt trug sie eine Krone aus goldenen Birkenblättern, an der Stirn von einem Lindenblatt geziert. Sie war barfuß und es schien, als würden ihre Füße den Boden nicht berühren. Ihr Gesicht war schmal mit hohen Wangenknochen und ein Schleier aus glitzerndem Staub, wie gleißende Sonnenstrahlen, die durch ein Blätterdach drangen, umgab ihre ganze Erscheinung. In ihren Händen hielt sie eine hölzerne Schale.
Bernhard rieb sich die Augen. Schweigend stand sie da und sah ihn an. Er erwiderte ihren Blick und so schwiegen sie eine Weile. Bernhard beschlich das Gefühl, so eine Frau schon einmal gesehen zu haben, mit braunen Haaren und grüner Blätterkrone.
Die Waldfee ging einen Schritt auf ihn zu. »Darf ich fragen, was den Förster meines Waldes so müde macht, dass er die Nacht an einem Baum verbringt, statt in sein wohlverdientes, weiches Bett zu gehen?« Sie reichte Bernhard die Holzschale.
Er nahm sie und räusperte sich. Sie war mit Wasser gefüllt. »Deines Waldes? Dies ist Fürst Heinrichs Wald. Du hast recht, ich bin sein Förster. Besser gesagt war sein Förster. Und wer bist du?«
»Gute Frage. Wie ich sehe, weißt du doch nicht alles über den Wald. Ich bin Birkalinde, die Herrin des Waldes und Königin der sieben königlichen Waldfeen.«
»Herrin des Waldes bist du, ja? Weiß Fürst Heinrich davon oder denkt er nur, dies hier wäre sein Wald?«
Birkalinde lachte. »Fürst Heinrich und ich sind gute Freunde. Er weiß, wer die Herrin seines Waldes ist.«
Sie setzte sich neben Bernhard auf das Moos und lud ihn mit einem Nicken zum Trinken ein.
Bernhard hob die Schale an seine Lippen und trank mit einem langen Zug. Das Wasser war kühl und frisch und strömte seine Kehle hinunter.
»Nun Bernhard, willst du mir nicht sagen, was deine Not ist, statt hier zu sitzen und auf den Tod zu warten?«
Bernhard seufzte tief, nicht mehr überrascht, dass sie seinen Namen kannte. Er blickte in die sanften Augen der Waldfee. »Schau mich an. Meine blauen Augen verraten mich. Tumaros ist mein Vater. Ich bin ein Drachenbär. Ihm konnte ich entkommen, aber mein Drachenblut bin ich nicht losgeworden. Die Bären hassen Drachen und jetzt ist alles herausgekommen. Es hat keinen Sinn. Ich bin, der ich bin, egal was ich tue. Und ich konnte meiner Mutter nicht helfen.«
»Auch dieser Wald wurde einst von einem Drachen heimgesucht. Wie ist es dir gelungen, die Schäden zu beseitigen, was nicht einmal die königliche Waldfee vermochte?«
Bernhard zog die Augenbrauen hoch. »Das war leicht. Das Licht hat die dunklen Wesen vertrieben.«
»Nur ein Drache weiß, was die dunklen Wesen fürchten. Wie konntest du die Forstschule so schnell durchlaufen und warum warst du schon als kleiner Bär in der Schule?«
»Das war auch leicht. Ich habe einfach schnell gelernt.«
»Drachen lernen schnell.«
Bernhard richtete sich auf. »Drachen sind böse. Gierig. Mordlüstern. Heimtückisch. Mitleidlos.«
»Das ist richtig. Aber du bist auch ein Bär. Und du hast es geschafft, die guten Seiten des Drachen in dir zu nutzen und das ganze Dorf damit
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