Drachentau
wohlhabend. Die silberdurchwirkten Schutzwesten übernahm der Oberförster als Sicherheitsstandard für alle Waldarbeiter. Jeder Forstschüler musste für drei Monate zu Bernhard in die Lehre gehen, während die Waldbesitzer im ganzen Land darauf warteten, einen Förster von der Fürstendorfforstschule zu bekommen.
Nur Bernhard blieb in seiner kleinen Försterhütte wohnen, wehrte alle Vergrößerungsversuche des Fürsten ab und schritt mit seinen großen Waldstiefeln und der schwarzen Lederweste stets mit gesenktem Blick durch den Wald. Im Dorf ließ er sich selten blicken, und wenn er auf Bären im Wald traf, verschwand er rasch hinter den Bäumen. Lena und Boris waren, außer dem Fürsten dann und wann, sein einziger Besuch.
So hätte es weiter gehen können, noch mal zehn Jahre oder für immer, wenn nicht der Tischler Matthias Besuch von seiner Urgroßtante Emma bekommen hätte, die in ihrem Heimatdorf Mühlenau auch als Hühner-Emma bekannt war und Geschichten zu erzählen wusste von Drachenbären mit blauen Augen.
Zurück
Mit forschen Schritten ging Fürst Heinrich auf das Forsthaus zu. Bernhard sah ihn kommen und öffnete die Tür.
»Wir müssen reden«, sagte der Fürst statt einer Begrüßung.
»Dann komm herein«, antwortete Bernhard und bat ihn mit einer Handbewegung, sich zu setzen.
»Ich werde gleich zur Sache kommen«, begann der Fürst.
»Nur zu.«
»Du hast gehört, dass Matthias Besuch von seiner Urgroßtante hat?«
Bernhard nickte.
»Emma kommt aus Mühlenau, dem Heimatdorf deiner Großeltern. Sie ist dort als Hühner-Emma bekannt.«
»Und?«
»Sie behauptet, dich zu kennen.«
Bernhard zog die Augenbrauen zusammen. »Und?«
»Mensch Bernhard! Jetzt lasse dir nicht alles aus der Nase ziehen. Sie behauptet, der Drache ist dein Vater.«
Bernhard blickte auf den Tisch. Er rieb seine kalten Finger aneinander.
»Stimmt das?«
»Ja.«
Der Fürst atmete hörbar ein. »Warum hast du mir nichts davon erzählt?«
»War es wichtig?« Bernhard hob den Kopf und ihre Blicke trafen sich.
»Ob es wichtig war? Weißt du, was im Dorf jetzt los ist? Die Leute reden schon lange über dich. Du bist der Einzige, der seine Hütte nicht vergrößert hat. Warum hast du nicht längst eine Frau und Kinder? Du gehst jedem aus dem Weg und bist ruppig zu den Waldarbeitern. Bären hassen Drachen, mit Recht will ich meinen. Sie verlangen einen neuen Förster.«
Bernhard schaute auf seine Hände. »Und? Bekommen sie einen neuen Förster?«
Der Fürst schlug auf den Tisch. »Warum hast du mir nicht erzählt, dass dein Vater ein Drache ist?«
»Hättest du mich dann eingestellt?«
»Verdammt noch mal, ja. Ich hätte dich eingestellt. Aber ich will nicht von einem Klatschweib erfahren, wer mein Förster ist.«
Bernhard sah aus dem Fenster. Seine Nasenflügel bebten. Die Erschütterung hatte er schon lange gespürt, und jetzt war es raus.
»Gut, dann gehe ich mal meine Sachen packen, damit du Platz hast für deinen neuen Förster.« Bernhard stand auf, aber der Fürst erhob sich ebenfalls und drückte ihn wieder auf den Stuhl.
»Du gehst nirgendwo hin. Erst schweigen und dann kneifen, ja? Kommt nicht infrage. Du bist der beste Förster, den dieser Wald jemals gesehen hat. Du wirst dir jetzt schön überlegen, wie wir den Karren aus dem Dreck bekommen.«
Bernhard zog die Stirn kraus. »Ich werde gar nichts. Ich bin so, wie ich bin. Entweder du nimmst mich, oder du lässt es. Ich werde auf keinen Fall mit den Leuten reden oder den Karren aus dem Dreck ziehen, wie du es nennst. Dann gehe ich eben.«
Der Fürst haute abermals auf den Tisch. »Drachenblut, ja? Macht stur, wie ich sehe. Jetzt wirf doch nicht alles weg!«
Bernhard stand auf und ließ sich diesmal nicht aufhalten. Er griff seine Lederweste und verließ ohne einen weiteren Blick mit lautem Türknallen die Hütte. Eilig ging er in den Wald, hielt den Blick gesenkt und lief ziellos weiter, bis die Sonne den Horizont erreichte und er erschöpft an einem Baum niedersank. Eine Welle hat ihn gegriffen, ins offene Meer gezerrt, die Luft zum Atmen geraubt und in ein unendliches Sinken fallen gelassen.
Nur der Tod kann mir jetzt noch helfen,
dachte Bernhard und wartete, dass der Boden sich unter ihm öffnen und ihn für immer verschlingen würde.
Aber es geschah nicht. Der Boden blieb hart. Auch als die Sonne unterging, Licht und Wärme mit sich nahm, Kälte und Dunkelheit zurück ließ. Bernhard rührte sich nicht, bis er in sich zusammensank und in einen
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