Drachentau
der Höhle kämpfen. Nun, ein Kampf war es nicht, aber erleichtert bin ich auch nicht.«
Eschagunde nickte. »Ich verstehe, was du meinst.« Unter ihrem Gürtel zog sie einen Spiegel hervor und reichte ihn Bernhard.
Zögernd nahm er ihn. »Was soll ich damit?«
»Schau hinein, wenn du dich traust. Er zeigt dir, ob dein Schicksal sich wenden lässt.«
Bernhard schaute in sein Spiegelbild. Es verblasste und verschwand in einer Wolke. Wind blies die Wolke fort. Er schaute in die Drachenhöhle. Dort saß er als kleiner, wissbegieriger Bär, stellte ständig Fragen und sehnte sich danach, den Himmel und die Bäume zu sehen. Dann sah er sich als kleinen Bären, der gegen den Drachen rannte, und versuchte seine Mutter zu beschützen. »Tu das nicht«, wollte er rufen, da wurde der Bär auch schon mit aller Gewalt gegen den Felsen geschleudert und verlor sein Gehör. Das Bild änderte sich und er sah sich als halbwüchsigen Bären, der nicht aufgab, den Zaubergang zu suchen, dem es schließlich gelang, ihn zu finden, und der der Höhle entkam. Dann verschwand das Bild und er sah wieder sich selbst mit blauen Augen. Nachdenklich gab er Eschagunde den Spiegel zurück.
Sie lächelte. »Du hast viel Mut bewiesen, Bernhard Drachenbär. Du trägst diesen Namen zu Recht. Niemals wieder sollst du dich schämen, ein Drachenbär zu sein.«
Bernhard biss sich auf die Lippen und lachte verlegen. »Und was machen wir jetzt?«
»Du gehst in das Dorf. Deine Mutter erwartet dich.«
»Kommst du nicht mit?«
Eschagunde schüttelte den Kopf. »Nein, Bernhard, ihr braucht mich nicht mehr. Mein Wald bekommt einen guten Förster, der die Drachenschäden zu beseitigen versteht. Auf mich warten andere Aufgaben.« Sie holte ihren Zauberstab heraus und berührte Bernhards Kopfhaar damit. »Ich sehe, dass du den Schutzzauber der königlichen Waldfeen hast. Jetzt gebe ich meinen noch dazu, so kommst du sicher nach Hause. Lauf, damit du vor der Dunkelheit das Dorf erreichst. Alles andere wird sich finden.«
»Aber ich kann nicht in das Dorf. Die Leute dort wollen mich nicht. Es ist nicht mein Zuhause.«
Eschagunde antwortete nicht mehr. Sie verschwand vor Bernhards Augen, bis nur noch ein Flimmern der Luft zu sehen war.
Er seufzte. »Also gut, dann mache ich mich halt auf den Weg.«
Die Sonne stand schon nahe am Horizont. Mit schnellen Schritten eilte Bernhard den Drachenweg hinunter zum Dorf. Keines der üblen Wesen bedrohte ihn und es schien, als lockte der Zauber sogar etwas Mondlicht hervor, das den Weg erhellte, als die Sonne unterging. Um Mitternacht erreichte Bernhard das Waldende und kam auf den Mittelweg. Sein Puls raste, als er Jakobs Hütte sah. Der Vorgarten war verwildert. Zögerlich ging er den Weg hinunter und öffnete die Tür. Muffige Luft schlug ihm entgegen. Müde tapste er ins Dunkel und legte sich vor den kalten Kamin auf den staubigen Boden. »Morgen werde ich hier sauber machen«, sagte er leise zu sich selbst, bevor er einschlief.
Alte Heimat
Klack – klack - klack. Bernhard erwachte am Morgen und überlegte, wo er war. Die Bilder seiner Flucht kamen zurück. Schlaftrunken setzte er sich auf. Jakobs Hütte war unter einer dicken Staubschicht begraben, aber darunter war alles noch so, wie er es in Erinnerung hatte. Klack! Das Geräusch kam vom Fenster. Bernhard sah erstaunt eine kleine Blaumeise, die mit dem Schnabel an das Fenster klopfte. Klack – klack - klack.
»Lina!«
Erfreut sprang er auf, öffnete das Fenster und streckte Lina seinen Arm entgegen. Fröhlich schlug sie mit den Flügeln und nahm darauf Platz.
»Was machst du hier, kleiner Vogel? Du hast lebenslanges Bleiberecht bei den Feen. Warum kommst du zu mir?«
Lina legte den Kopf schief, als wollte sie mit den Schultern zucken. Bernhard nahm sie auf die Hand und rieb sie zärtlich an seiner Wange. »Ich glaube, ich habe einen richtig guten Freund.«
Lina nickte verhalten und legte wieder den Kopf schief.
»Komm herein, wenn du möchtest.«
Lina mochte nicht. Mit lautem Zwitschern flog sie davon und suchte sich in Jakobs Garten einen Unterschlupf. Nachdenklich sah Bernhard ihr nach.
Hunger und Durst meldeten sich, aber in Jakobs Vorratskammer war nicht einmal verschimmeltes Brot zu finden, höchstens eine dicke Staubschicht. Seufzend wandte er sich zum Ausgang, vorbei an dem großen Spiegel. Er stellte sich davor und sah durch den Schmutz undeutlich seine Konturen. Mit einem Atemhauch wischte er ihn mit seinem Arm sauber. Ein hochgewachsener
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