Drachentempel 01 - Sternenträume
jedes Zögern riss er ihn herunter.
Das AS-Steuerprogramm brachte den Bus zum Halten, so schnell seine physikalischen Parameter es erlaubten. Die Verkehrsleitkontrolle von Templeton wurde automatisch benachrichtigt, und Rettungsdienste wurden mobilisiert. Die Sensoren im Innern des Busses und die Umgebungssensoren wurden auf irgendein ungewöhnliches Zeichen hin untersucht. Nichts zu finden – doch die manuelle Intervention durch einen Menschen durfte nicht ignoriert werden. Der Bus kam zum Stehen; Sicherheitsnetze pressten die Fahrgäste in ihre Sitze. Schreie hallten durch den langen Mittelgang. Mr. Kaufman verlor seinen Kaffeebecher und sein Biskuit und brüllte erschrocken: »Was in drei Teufels Namen …?«
Eine Sekunde später stand der Bus bewegungslos auf der Piste. Dann setzte die Alarmhupe ein, zusammen mit gelben Blinklichtern vorn und am Heck. Mr. Kaufman und Miss Ridley warfen sich verständnislose Blicke zu und öffneten ihre Sicherheitsnetze. Das Licht über einem der Nothaltegriffe blinkte drängend. Mr. Kaufman fand keine Gelegenheit, nach dem Grund für das Betätigen der Bremse zu fragen. Der junge Lawrence kam nach vorn gerannt und sprang zur Tür, die sich automatisch geöffnet hatte. Er zerrte den Reißverschluss seiner weiten Thermojacke hoch.
»Was ist denn …?«, sprudelte Miss Ridley hervor.
»Es ist draußen!«, kreischte Lawrence. »In der Luft! Es ist oben in der Luft!«
»Warte.«
Sie rief ins Nichts, denn Lawrence war bereits aus dem Bus gesprungen und stand auf der Piste. Die anderen Kinder rannten Lawrence hinterher. Sie hatten sich schnell von dem Schreck erholt, und jetzt standen sie in einer großen Gruppe am sandigen Straßenrand und waren damit beschäftigt, ihre Jacken zu schließen und die Handschuhe überzustreifen, denn die eisige Luft biss sich in jeden Flecken ungeschützter Haut. Lawrence stand ein Stück abseits von ihnen und suchte am Himmel nach dem bizarren Umriss, den er gesehen hatte. Hinter ihm wurde bereits der erste Spott laut, während alle ungeduldig warteten.
»Dort!«, rief er und deutete nach Westen. »Dort! So seht doch!«
Der Tadel, den Mr. Kaufman bereits auf den Lippen gehabt hatte, blieb unausgesprochen. Eine große weiße Wolke schwebte majestätisch über ihnen am Himmel, der einzige Makel eines ansonsten vollkommen gleichmäßig blauen Himmels. Schweigen breitete sich unter den Kindern aus, als sie das unerklärliche Wunder bestaunten.
»Sir, warum fällt es nicht zu Boden?«
Mr. Kaufman regte sich wieder. »Weil es die gleiche Dichte hat wie die umgebende Luft.«
»Aber es ist fest !«
»Nein.« Er lächelte. »Es sieht nur so aus. Erinnert ihr euch, wie wir durch das Teleskop zum Nizana gesehen haben? Ihr konntet die Wolken sehen und die Stürme. Sie flogen über die Oberfläche hinweg. Das dort ist das Gleiche, eine Wolke, nur viel, viel kleiner.«
»Bedeutet das, dass es auch hier Stürme geben wird, Sir?«
»Eines Tages, ja. Aber keine Sorge, sie werden längst nicht so schwer sein wie die auf dem Nizana.«
»Woher ist sie gekommen?«
»Vermutlich vom Barclay-Gletscher. Ihr alle habt die Bilder vom Ablauf gesehen. Das dort oben ist eines der Resultate. Wenn ihr größer seid, werdet ihr noch eine Menge mehr davon zu sehen bekommen.« Er ließ sie noch eine Weile auf den Vorboten am Himmel starren, bevor er sie in den Bus zurückscheuchte.
Lawrence war als Letzter auf den Stufen. Er konnte sich nur schwer von seiner bemerkenswerten Entdeckung lösen. Außerdem erwartete ihn die unausweichliche Rüge …
Die Lehrer waren sehr viel nachsichtiger, als er erwartet hatte. Miss Ridley sagte, dass sie verstehen könnte, wie fremdartig ihm die Wolke erschienen sein müsse, dennoch bestand sie darauf, dass er um Erlaubnis fragte, bevor er so etwas jemals wieder tat. Mr. Kaufman nickte schroff und bestätigte damit jedes ihrer Worte.
Lawrence kehrte zu seinem Platz zurück, und der Bus setzte sich erneut in Bewegung. Die anderen Kinder hatten ihre Spiele vergessen und unterhielten sich aufgeregt über das Wunder, das sie gerade gesehen hatten. Schon jetzt entwickelte sich die Fahrt zum besten Ausflug in Freier Ökologie, den sie je gemacht hatten. Lawrence beteiligte sich sporadisch an den Diskussionen und Spekulationen, und seine Entdeckung verlieh ihm ein Prestige, wie er es bis dahin nicht gekannt hatte. Die meiste Zeit jedoch war er bemüht, die Wolke am Himmel nicht aus den Augen zu verlieren.
Immer wieder musste er an den
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