Drachentempel 01 - Sternenträume
über den gepflasterten Weg und die Treppen, welche die einzelnen Rasenflächen miteinander verbanden, zum Haus. Die Residenz der Newtons war ein stattlicher Bau aus gelbem Stein, mit großen Erkerfenstern und von Geißblatt überwucherten Mauern. Pfauen stolzierten über die Kiesfläche rings um das Haus herum, und ihre langen Federschwänze strichen über die kleinen Steine. Ihr durchdringendes Geschrei war praktisch das einzige Geräusch in der gesamten Kuppel. Die Tiere scheuten vor Lawrence und rannten auseinander, während er an ihnen vorbeiging und die Stufen zum Haupteingang hinaufstieg.
Die Halle im Innern war kühl. Schwere Türen aus polierter Eiche führten in die formellen Zimmer des Erdgeschosses. Das Mobiliar bestand aus kostbaren Antiquitäten, genau wie die restliche Ausstattung.
Lawrence hasste sie; er hatte Angst, eines der Zimmer zu betreten, weil er vielleicht ein Stück des unbezahlbaren Erbes der Familie zerbrechen konnte. Worin bestand der Sinn eines solchen Hauses? Man konnte es nicht richtig benutzen, nicht wie die Häuser seiner Klassenkameraden, und es kostete ein Vermögen, so etwas zu bauen. Außerdem gehörte dieser Baustil nicht nach Amethi. So hatten die Menschen in früheren Zeitaltern gebaut, auf der Erde. In der Vergangenheit.
Eine Holztreppe führte hinauf in den ersten Stock. Er trottete hinauf, und der Hall seiner Schritte wurde von dem dunkelroten dicken Teppich verschluckt.
Seine Mutter stand oben und hielt seine zwei Jahre alte Schwester Veronica auf dem Arm. Sie bedachte ihn mit sorgenvollem Blick. Doch so waren Mütter nun einmal, ständig sorgten sie sich um irgendetwas. Seine Schwester lächelte ihn strahlend an und streckte die Hände nach ihm aus. Er grinste und gab ihr einen Kuss.
»Oh, Lawrence!«, sagte seine Mutter. Ihre Stimme enthielt diesen einzigartigen Ton von Verzweiflung und Missbilligung, der ihn stets dazu brachte, beschämt den Kopf zu senken. Es war schrecklich, seiner eigenen Mutter nicht in die Augen sehen zu können. Und nun hatte er sie erneut verärgert, schlimm genug – doch schlimmer noch: sie war im sechsten Monat schwanger. Nicht, dass er sich keinen weiteren Bruder oder eine Schwester gewünscht hätte, aber die Schwangerschaft machte sie immer so müde. Wann immer er etwas deswegen sagte, lächelte sie tapfer und antwortete, dass dies der Grund dafür war, dass sie seinen Vater geheiratet hatte. Um die Linie der Familie fortzusetzen.
Familie. Immer nur die Familie.
»Ist er wirklich sauer?«, fragte Lawrence.
»Wir sind beide sehr enttäuscht von dir. Wie konntest du so etwas Schreckliches tun! Stell dir vor, du hättest Barrel so behandelt!«
Barrel war einer der Familienhunde, ein zottiger schwarzer Labrador und Lawrences Lieblingstier aus der Meute, die im Haus umherstreifte. Sie waren zusammen aufgewachsen. »Das ist doch nicht das Gleiche!«, protestierte er. »Es waren nur Würmer!«
»Ich diskutiere nicht mit dir. Geh und sprich mit deinem Vater.« Mit diesen Worten wandte sie ihm den Rücken zu und stieg die Treppe hinunter. Veronica gluckste glücklich und winkte ihm.
Lawrence winkte elend zurück und ging langsam in Richtung des väterlichen Arbeitszimmers. Die Tür stand offen. Er klopfte an den Holzrahmen.
Kristina kam gerade heraus, das neue Kindermädchen für die Newton-Kinder. Sie zwinkerte Lawrence heimlich zu, eine Geste, die seine Stimmung beträchtlich steigen ließ. Kristina war einundzwanzig und unglaublich schön. Er hatte sich mehr als einmal gefragt, ob er vielleicht verliebt in sie war, doch er wusste nicht, wie es sich anfühlte. Er dachte häufig an sie – falls es das war. Abgesehen davon war Verliebtsein doof. Von ihrer Schönheit einmal abgesehen war es großartig, wenn sie arbeitete – sie war lustig, und sie spielte bei den Spielen mit, die seine Geschwister und er sich ausdachten, außerdem schien es ihr nichts auszumachen, wenn er zu spät aufstand oder ins Bett ging. Seine Brüder und Schwestern mochten sie zum Glück ebenfalls, obwohl sie nicht besonders gut im Wechseln von Windeln oder im Zubereiten von Babynahrung war. Zu schade, dass sie nicht häufiger arbeitete.
Wie der Rest des Hauses war auch das Arbeitszimmer nicht für Kinder gemacht. Es besaß einen hohen, mit Marmor eingefassten Kamin, der nur holographische Bilder, niemals Flammen gesehen hatte. Zwei grüne lederne Lesesessel. Man musste schon angestrengt hinsehen, um irgendwo moderne Technik zu entdecken. Die beiden größten
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