Drachentempel 02 - Drachenfeuer
die Erinnerung an alles, was die Drachen als wichtig und bedeutsam einschätzen. Die Eier fallen durch die Dunkelheit des Interstellaren Raums, bis die Gravitation irgendeines jungen, hellen Sterns sie in einen fernen Orbit zieht, wo der Zyklus von neuem beginnen kann.«
»Nur, dass eines dieser Eier auf einen Planeten fiel, nämlich auf Thallspring«, sagte Lawrence.
Die Kinder schraken zusammen und wandten sich um. Lawrence lehnte lässig am Stamm eines Schneebaums, die Arme vor der Brust verschränkt. Er grinste schief, als er Denise ansah.
Die Kinder begannen aufgeregt zu flüstern.
»Das war vor mehr als zweitausend Jahren«, fuhr Lawrence fort, während er die erwartungsvollen, ein wenig verängstigten Gesichter anlächelte. »Das Drachenei schoss aus dem Himmel herab wie ein Splitter Sonnenlicht und traf das Plateau ganz in der Nähe vom Mount Kenzi. Der Einschlag war so stark, dass es einen Krater in den Fels riss. Jeder Baum im Umkreis von fünfzig Kilometern wurde entwurzelt und von der Druckwelle zerfetzt. Es brannte tagelang, und die Luft war erfüllt von schwarzem Rauch. Der Staub des verdampften Felsens quoll hinauf bis in die Stratosphäre und löschte die Sonne wochenlang aus. Es wurde der kälteste Winter, den das Plateau jemals erlebt hatte, und es war meterhoch verschneit. Als der Schnee einige Jahre später zu schmelzen begann, füllte das Wasser den Kratersee. Die Bäume wuchsen wieder nach. Und hundert Jahre später sah alles genauso aus wie vorher, nur dass es nun einen See auf dem Plateau gab, wo vorher keiner war.
Dann kamen Menschen hierher und nannten die Gegend Arnoon. Sie errichteten ein Dorf und begannen, die Willow-Webs zu ernten. Und eines Tages …«
»Eines Tages«, fuhr Denise fort, »war mein Großvater draußen und auf der Suche nach Rohstoffen, als seine Überwachungssensoren ein eigenartiges magnetisches Muster im Fels unter dem See entdeckten. Er begann zu graben. Sein kleiner Robot brauchte Monate, um einen Schacht hinunter zum Fundament der Insel zu graben. Doch als er schließlich angekommen war, fand mein Großvater Fragmente des Eis. Er wusste nicht, was es war, nur dass es künstliche Festkörpermatrizen unbekannter Herkunft waren, anders als alles, was Menschen je gebaut hatten. Er grub weiter und weiter, und schließlich fand er das größte Fragment von allen, dasjenige, das wir den Drachen nennen.«
»Zu diesem Zeitpunkt«, sagte Lawrence, »hatte er bereits herausgefunden, dass die Fragmente Daten enthielten. Nach vielen Experimenten fand er einen Weg, auf einige der Daten zuzugreifen. Als er wusste, wie es ging, begann er das riesige Reservoir an Informationen auszuschöpfen, das im Drachen gespeichert war.«
»Der Drache schlief noch immer«, sagte Denise. »Er besaß nichts außer nicht miteinander verbundenen Erinnerungen. Mein Großvater schrieb Programme, die diese Erinnerungen miteinander verbanden, und nach und nach erwachte der Drache. Er lernte zu denken.«
»Und Sie fanden heraus, dass es im Prinzip ein kohäsives nanonisches System mit der Fähigkeit zu molekularem Bauen war. Sie benutzten es, um einheimische Pflanzen so zu adaptieren, dass irdische Früchte darauf wuchsen, und um sich immun gegen Krankheiten zu machen. Sie benutzten es zur Herstellung von Technologie, die um Größenordnungen weiter fortgeschritten ist als alles, was Menschen herstellen können. Und Sie behielten alles für sich allein.«
»Weil der Drache immer nur aus sich selbst machen kann, worum wir ihn bitten. Er kann nichts Neues erschaffen. Er weiß nicht, wie es geht. Diese Informationen gingen bei der dem Aufprall folgenden Zerstörung verloren. Jeder Patternformsequenzer in meinem Körper ist ein Teil des Drachen. Er hat sich selbst geschwächt, um mich zu verbessern. Er hat sich weiter geschwächt, um Sie zu heilen.«
»Ja«, sagte Lawrence. Seine Streitlust verging. »Macht ein rechtschaffenes Leben irgendwie peinlich, wie?«
Denise wandte sich wieder den Kindern zu. »So, nun wisst ihr, warum die Dinge hier ein wenig anders sind als auf dem Rest von Thallspring. Ein sehr edles Wesen hat einen Teil von sich selbst geopfert, um unser Leben leichter zu machen. Unsere Schuld dem Drachen gegenüber ist gewaltig. Wir dürfen niemals vergessen, was wir ihm verdanken. Und wir müssen darum beten, dass wir sie eines Tages zurückzahlen können.«
Die Kinder trotteten schweigend davon. Viele schlichen sich dicht an Lawrence, bevor sie lachend und kichernd davon
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