Drachentempel 02 - Drachenfeuer
Servierwagens zur Seite. Auf dem unteren Regal lag ein Erste-Hilfe-Kasten.
»Wozu ist der denn?«, fragte Hal.
»Ein einfacher Weg aus diesem Schlamassel«, sagte Lawrence. »Und genau das macht mir ein wenig Sorgen. Jemand anderes könnte dahinter kommen. Setz dich, Hal.«
Hal tat wie geheißen.
Dennis stellte den Kasten neben Hal auf die Pritsche und öffnete ihn. Er wickelte zwei Reihen durchsichtiger Schläuche auseinander und steckte sie in Hals Halsventile.
»Und jetzt hör genau zu«, sagte Lawrence und begann zu erklären.
Es war untypisch kalt für Memu-Bay-Verhältnisse, als die ersten Spuren grauen Tageslichts über den Horizont glitten. Myles Hazledine hatte einen warmen Wollmantel übergezogen und begleitete Ebrey Zhang nach draußen in den Obstgarten auf der Rückseite des Barnsdale Hotels. Der Garten war ausgewählt worden, weil er von einer großen Steinmauer eingefasst war.
Myles nahm an, dass Zantiu-Braun die Exekution vor den Augen der morbide neugierigen Bevölkerung verbergen wollte. Doch Zhang hatte ihn aufgeklärt, dass die Mauer die Kugeln aufhalten würde. Myles hatte einen Augenblick gebraucht, um zu begreifen, was der Mann sagte. »Ein Erschießungskommando?«, hatte der entsetzte Bürgermeister gefragt. Er konnte nicht glauben, dass jemand so barbarisch sein konnte, nicht einmal Zantiu-Braun. Wie die übrigen Einwohner von Memu Bay hatte der Bürgermeister die ganze Zeit über schweigend angenommen, dass man dem Verurteilten einfach eine Überdosis eines Schlafmittels verabreichen würde. Dass Grabowski still und friedlich einschlafen und nicht wieder aufwachen würde und die Sache damit zu Ende wäre.
Er hätte es besser wissen müssen. Dieser ganze schreckliche Zwischenfall würde niemals mit stiller Würde enden. Jetzt würde er dabei sein und zusehen müssen, wie Kugeln einen Mann zerfetzten und Blut spritzte. Es war ein ungeheuerlicher Gedanke, der jeglicher bürgerlichen Anständigkeit zuwiderlief. Er verspürte nicht einmal mehr Freude, dass Grabowski auf diese Weise sterben würde. Er hatte Gerechtigkeit gewollt, sicher. Aber das hier erinnerte mehr an einen mittelalterlichen Racheakt.
»Der Verurteilte hat gewisse Rechte«, hatte Ebrey Zhang verlegen erklärt. »Es gibt drei Möglichkeiten, eine Exekution vorzunehmen, und er kann sich für eine entscheiden. Tut er das nicht, entscheidet das Gericht für ihn. Es ist ungewöhnlich, das Erschießungskommando zu verlangen.« Auf Ebrey Zhangs Stirn hatte sich trotz der morgendlichen Kühle ein dünner Schweißfilm gebildet.
Myles fragte nicht nach der dritten Methode. Er folgte Zhang zu einer Stelle auf der Rückseite des Obstgartens. Sein Blick wich nicht einmal von dem einzelnen Pfosten ab, den man vor der hinteren Wand in den Boden gerammt hatte. Die Erde rings um seine Basis war frisch. Dahinter waren Sandsäcke aufgestapelt.
Das hier war Stück für Stück das, weswegen seine Vorfahren die Erde verlassen hatten. Die ultimative, gefühllose Unmenschlichkeit. Myles steckte die zitternden Hände in die Taschen und starrte auf das Gras. Denk an Francine, sagte er sich immer wieder. Denk an das Entsetzen, das sie durchleben musste.
Irgendjemand bellte Befehle. Myles zwang sich, den Blick zu heben.
Der Sergeant Major führte das acht Mann starke Erschießungskommando aus der Tür und ließ es hinter der Linie antreten, die sieben Meter vom Pfosten entfernt auf das Gras gemalt war. Die unglückseligen Squaddies waren durch Strohhalmziehen ausgewählt worden. Er hatte vorher mit jedem einzelnen gesprochen und gesagt, dass Grabowski sich jemanden wünschte, der vernünftig schießen konnte, und sie würden ihn nicht enttäuschen, ganz gleich, was sie sonst noch darüber dachten. Und der Sergeant Major hatte ihnen ausdrücklich versichert, dass diese Pflicht keinen Eingang in ihre Akten finden würde.
Als sie das Briefing bedrückt und niedergeschlagen verlassen hatten, dankte er im Stillen Allah, dass er nicht selbst den Abzug durchziehen musste. Dann war Lawrence Newton hereingekommen und hatte ein paar leise Worte mit ihm gewechselt. Der Sergeant Major hatte sich die Bitte seines alten Kameraden angehört und zustimmend genickt. Mehr musste und wollte er gar nicht wissen.
Edmond Orlov und Corporal Amersy führten den Verurteilten hinaus in den Garten. Hal zeigte keinerlei Emotionen, als sie vor dem Pfosten stehen blieben. Edmond band ihm die Hände hinter dem Pfosten zusammen und flüsterte seinem Freund etwas zu.
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