Drachentochter
hinweg sah ich in den Innenhof, in dem ich mit meinem Meister den Beginn der Ratssitzung erwartet hatte. Große Bronzelampen hingen in jeder Ecke, und in ihrem gelben Licht wirkten die Kumquatbäumchen wie Soldaten in Habachtstellung. Ein Diener eilte unter den Säulen auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes entlang und verschwand in einem dunklen Durchgang. Dillon nickte mir zu und glitt um die Ecke.
Ich ging hinter den Kumquatbäumchen in Deckung und folgte ihm zum hinteren Torbogen. Kaum hatte ich den dunklen Durchgang erreicht, als sich eine Tür in der Mitte des linken Gebäudes öffnete und ein Dienstmädchen vorsichtig in den Hof trat. Dillon, der neben mir stand, sog scharf die Luft ein. Ryko, der auf halbem Weg zwischen den Kumquatbäumchen und dem Tordurchgang war, ließ sich zu Boden fallen. Ich drückte mich an die Mauer. Das Mädchen blieb stehen, zog einen Kanten Brot aus der Rocktasche und kam dann geradewegs über den Hof auf uns zu.
Ich sah Ryko, der sich inzwischen aufgehockt hatte, mit fließenden Bewegungen seine Messer zücken. Was hatte er vor? Sie war nur eine Dienerin, die ein Stück Brot auf die Seite geschafft hatte. Er beugte sich vor und brachte die Messer in Position. Es war offensichtlich, worauf er abzielte: ein Schnitt durch die Kehle mit der ersten Klinge, während die zweite dem Mädchen ins Herz fuhr, schnell und geräuschlos. Ich warf Dillon einen Blick zu. Auch er hatte sich an die Mauer gedrückt. Ich wies mit dem Kopf auf das Mädchen und formte mit den Lippen die Worte: »Halt sie auf!« Er schüttelte nur den Kopf und schloss die Augen. Ich ballte die Fäuste, um ihn nicht in den Hof zu schubsen.
Plötzlich wurde die Tür hinter ihr krachend aufgeschoben, und im grellen Licht, das von drinnen in den Hof fiel, erschien der Umriss einer kantigen Gestalt.
»Gallia, komm zurück. Du bist noch nicht mit den Töpfen fertig.«
Das Mädchen stopfte sich den Kanten Brot tief in den Rock und kehrte eilends um. Dillon seufzte erleichtert, als sie die Küche betrat und die Tür hinter sich schloss, sodass die schrille Stimme ihres Vorgesetzten nur noch gedämpft nach draußen drang.
Gebückt hetzte Ryko das letzte Stück zu uns hinüber. Ich sah zu, wie er die Messer mit geübten Bewegungen wieder in die Armscheiden gleiten ließ. Dann wandten wir uns einander zu – ein unbehaglicher Moment, in dem wir uns mit neuen Augen sahen.
»Wärt Ihr lieber entdeckt worden?«, fragte er.
Nicht nur seine Waffen waren aus Stahl.
»Bis hierher und nicht weiter«, sagte Dillon und trat den Rückzug an. »Ich gehe nicht in die Nähe der Bibliothek. Nehmt diesen Gang. Er fuhrt in den Garten. Die Bibliothek liegt in der Richtung des Rattendrachen.«
»Warte!« Ich packte ihn am Ärmel.
»Nein.« Er riss sich los und verschwand im Tordurchgang. Der abgehackte Klang seiner verhallenden Schritte war ein beredtes Zeugnis seiner Angst.
»Sein Ablenkungsmanöver wird nicht lange vorhalten«, sagte Ryko und hielt auf das Ende des Gangs zu. »Wir müssen uns beeilen. Die Wächter werden überall nachsehen.«
Der Lärm vom Kutschenhof hatte schon nachgelassen. Wir blieben kurz in der Deckung des Durchgangs stehen und betrachteten die große Fläche, die wir zu queren hatten. Ein langer gepflasterter Weg verlief in Kurven und Steigungen über eine Brücke, an einem Teich entlang und um einen kleinen Pavillon herum. Rote Lampen für das Fest des Zwölften Tages hingen in den blühenden Bäumen. Der Jasmin erfüllte die Nachtluft mit mildem Honigduft. Es hätte ein wundervoller Garten sein können, doch die Herrlichkeit wurde von dem flachen Hügel im Nordnordwesten zerstört. Ich spürte bereits die bedrohliche Macht, die über ihm hing.
»Die Luft ist rein«, raunte Ryko. »Los.«
Wir liefen über den sorgsam gestutzten Rasen und erreichten den Schutz der blühenden Bäume. Ryko war schnell, und der Abstand zwischen uns wurde größer und größer, weil ich mit dem lahmen Bein immer wieder an kleinen Unebenheiten im Boden hängen blieb. Bald war mein Begleiter nur noch ein Schatten zwischen den Bäumen, fast nicht zu erkennen, außer wenn seine schweißnasse Haut oder ein Messergriff im Schein der Festlaternen aufblitzte. Ich blickte zum Tordurchgang zurück; dort war es noch immer ruhig. Ryko war nicht mehr zu sehen. Ich kam am Pavillon vorbei, dessen Mauern hinter rankenden Glyzinien verborgen waren. Jetzt war es nicht mehr weit bis zur Bibliothek. Ich grub die Faust in die Hüfte und
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