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Drachentochter

Drachentochter

Titel: Drachentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Goodman
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den Laternen am Weg war nun eine brennende Fackel zu sehen, die den Umriss ihres Trägers erkennen ließ. Angst schnürte mir die Kehle zu.
    Es gab eine letzte Möglichkeit. Den Rattendrachen. Würde ich ihn rufen können? Tellon hatte gesagt, es sei nicht möglich, doch ich wusste, dass ich eine gewisse Verbindung zu ihm hatte. Ich tastete verzweifelt nach meinem Hua und ließ es mühsam durch meine sieben Energiepunkte aufwärts strömen. Wie feiner Sand, den man mit den Händen zu schöpfen versucht, entglitt das Hua meiner Kontrolle, bis nur noch ein kleiner Rest übrig war, der sich in meinem Geist sammelte. Mit äußerster Konzentration schleuderte ich es dem Rattendrachen entgegen. Eine schreckliche ziehende Pein ließ mich schwanken. Für einen Moment fühlte ich mich vollkommen hohl. Wie eine bloße Hülle. Vor meinem geistigen Auge sah ich den blauen Drachen über den Hügel gebeugt, den er in den Klauen hielt. Sein riesiger Kopf hob sich, und er musterte mich verwirrt und widerwillig, ohne nur einmal zu blinzeln. Dann stieß er einen verärgerten Schrei aus und mich durchfuhr etwas wie das brennende Heulen eines Feuersturms. Das Vorhängeschloss zersprang mit einem Knall und ich zuckte zu Boden.
    Dort lag ich einen Augenblick lang und starrte mit offenem Mund auf das zerbrochene Schloss über mir.
    Der Rattendrache hatte geantwortet.
    Ryko stöhnte. Ich riss das Vorhängeschloss herunter und drückte gegen die Tür. Geräuschlos öffnete sie sich und ein Gang tauchte auf. Ich griff Ryko am Arm und zog ihn, während er sich mit den Füßen über die Schwelle stieß. Langsam schoben wir uns in den schmalen Gang hinein, bis ich die Metalltür hinter ihm schließen konnte, was uns in völlige Finsternis bannte.
    Ich lehnte mich an eine Mauer und holte tief Luft. Rykos keuchende Atemzüge verlangsamten sich. Ich betastete die Wand. Sie war aus Stein, genau wie der Fußboden. Neben mir rührte sich Ryko.
    »Haben sie uns gesehen?« Seine Stimme klang wieder normal.
    »Ich glaube nicht.« Ich streckte die Hand aus und stieß gegen seine muskulöse Brust. »Alles in Ordnung?«
    »Ja.« Ich spürte seine Hand die meine streifen, als er seinen Unterleib abtastete. »Ihr hattet recht – die Verletzung war nicht echt.« Er lachte, und ich hörte den Stein geradezu, der ihm vom Herzen fiel.
    Da meine Augen sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte ich Rykos tiefschwarzen Umriss im schwachen Dämmerlicht erkennen, das durch den Schlitz unter der Metalltür fiel.
    »Ihr habt es nicht gespürt?« In seiner Stimme lag eine Spur Ehrfurcht.
    »Nicht so stark jedenfalls«, sagte ich knapp. Dies war nicht der Moment, um über meine Verbindung mit dem Rattendrachen zu sprechen. Ich rappelte mich auf. »Also weiter.«
    »Wartet.«
    Ich hörte Stoffrascheln. Dann wurde etwas Hohles auf den Boden gestellt und ein Zündstein geschlagen. Ein Funke sprang in die Dunkelheit, und eine kleine Flamme erschien, die mit einem schwachen Geräusch am Boden größer wurde und Rykos Gesicht leuchten ließ. Die unvermutete Helligkeit ließ mich blinzeln; dann erst sah ich das kleine Tongefäß, in dem die Flamme brannte.
    »Lichtpulver«, sagte Ryko zufrieden und sah mich lächelnd an. »Ein Trick meines alten Gewerbes.« Er stöberte in seiner Bauchtasche, zog zwei Kerzen hervor, hielt die erste in die Flamme und entzündete den Docht. Kaum hatte er die zweite Kerze angesteckt, begann das Feuer im Tongefäß zu erlöschen.
    »Hier.« Er gab mir eine Kerze.
    Ich hielt sie hoch und sah blinzelnd den Gang entlang. Nur ein kurzes Stück weiter folgte wieder eine Metalltür.
    »Die scheint nicht abgeschlossen zu sein«, sagte Ryko, kippte das verbrannte Pulver aus, wickelte die Tonschale mit flinken Bewegungen in ein Stück Leder und stopfte sie wieder in seine Bauchtasche. »Ich gehe vor.«
    »Und wenn wir wieder auf Drachenkraft stoßen?«
    Er zögerte und betrachtete die Tür argwöhnisch, setzte dann aber eine entschlossene Miene auf. »Ich gehe trotzdem vor.«
    Wir erhoben uns und unsere Schatten flackerten über die roh behauenen Wände. Ryko schob sich behutsam voran. Ich folgte ihm und behielt ihn dabei im Auge. Doch es ging ihm gut. Die Abwehr des Drachen hatte offenbar draußen geendet.
    Wir blieben vor der zweiten Tür stehen und erkannten im Kerzenlicht die Umrisse eines großen, aus dem Metall getriebenen Halbreliefs: Zwölf Kugeln waren zu einem Kreis verbunden, wobei die obersten beiden Kugeln größer als die

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