Drachentochter
nehmen, aber die Perlen haben nach mir geschlagen«, sagte er und schloss den Deckel vorsichtig aus einigem Abstand.
»Wir müssen gehen, und zwar jetzt«, drängte ich und blies die Lampe aus. Der Raum wurde wieder eine dunkle Anderswelt voll riesiger Schatten, die im Schein unserer Kerzen flackerten. Ich hatte es eilig, mich von der Stelle zu entfernen, wo eben noch der Beutel gelegen hatte, und schritt rasch zur Tür. Ryko schloss zu mir auf und nahm eine der Kerzen.
»Wie sollen wir von hier verschwinden?«, fragte ich.
»Die Wächter dürften den Garten inzwischen verlassen haben. Sollte mich der Illusionszauber wieder treffen, wirst du mir aus dem Bannkreis helfen müssen«, sagte Ryko und strich sich über den Bauch. »Und wenn wir den magischen Machenschaften entkommen sind, schlagen wir uns wieder zum Seiteneingang durch.«
Ich folgte ihm in den schmalen Gang, wandte mich aber noch mal um und hielt die Kerze hoch, um einen letzten Blick in Lord Idos Bibliothek zu werfen. Obwohl die Kassette im Dunkel verborgen war, schien sie vor böser Energie zu pulsieren, und ich beeilte mich, die Tür mit den zwölf Kugeln zu schließen.
Vor mir löschte Ryko seine Kerze und öffnete die Tür nach draußen einen Spaltbreit.
»Anscheinend ist die Luft rein«, sagte er leise.
Für einen Moment ließ mich ein vages Gefühl innehalten. Ich strich mit den Fingern über den Lederband unter meinem Ärmel. »Halte dich lieber an mir fest«, sagte ich, »bis wir den Drachenbann überwunden haben.«
Ryko nickte, nahm mein Licht und drückte die Flamme aus. Ein Rascheln von Stoff sagte mir, dass er beide Kerzen zurück in die Bauchtasche schob.
»Fertig?«, fragte ich.
Er griff mich am Arm. »Fertig.«
Ich öffnete die Tür und das zerbrochene Vorhängeschloss schlug leise ans Metall. Der Garten war ruhig und der Halbmond gab Bäumen und Blumenbeeten einen silbernen Rand. Ich trat in den Schatten des Hügels hinaus und spürte, dass Ryko nur widerstrebend folgte. Die Perlen an meinem Handgelenk zuckten, und ich sah die Kraft des Rattendrachen kurz wie eine dünne Glaskuppel über dem Hügel stehen, sich entlang des Wegs erstrecken und bei einigen blühenden Bäumen enden, auf die ich langsam zuhielt. Ryko blickte mir in die Augen und nickte; alles lief gut. Bis jetzt. Wir kamen an der Stelle vorbei, wo er auf dem Hinweg gestürzt war. Nun war es nicht mehr weit. Dann lockerte sich Rykos Griff. Ehe ich dagegen protestieren konnte, ließ er mich los. Ich sah, wie seine Augen sich vor Schmerz weiteten. Dann krümmte er sich und sackte auf die Knie. Ich stürzte zu ihm und grub ihm die Finger in den starken Oberarm. Sofort löste sich die Verkrampfung und er nahm meine Hand.
»Noch ist es nicht geschafft«, sagte ich unnötigerweise.
Er sah zu mir hoch, senkte dann den Kopf und sagte: »Mylord.« Seine Stimme war ehrfürchtig.
»Ryko, steh auf.« Ich zog ihn am Arm. »Hier draußen sind wir nicht sicher.«
Bis zu den Bäumen war es nur noch ein kleines Stück. Ryko umklammerte meine Hand und rappelte sich auf. Ich führte ihn vom Weg in die schüttere Deckung.
»Jetzt wird alles gut«, flüsterte ich.
Zögernd ließ er meine Hand los und wir blieben stehen und sahen uns ängstlich an. Doch er hatte offensichtlich keine Schmerzen. »Ich stehe in Eurer Schuld, Mylord«, murmelte er und verneigte sich.
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, es ist –«
Raschelndes Laub ließ uns herumfahren. Hinter uns stand ein Wächter, der vorsichtig hatte zurückweichen wollen. Trotz des breitkrempigen Helms erkannte ich seine abgestumpften und hinterhältigen Züge und seine stämmige Gestalt.
Es war Ranne.
Seine Augen weiteten sich. »Du!«
Er hatte mich erkannt.
Ryko war zu dem gleichen Schluss gekommen und das war Rannes Todesurteil. Blitzschnell zog der Eunuch die Messer. Als Ranne den Mund öffnete, um Alarm zu schlagen, traf ihn das eine bis zum Heft in die Kehle. Statt eines Schreis brachte er nur ein nasses Gurgeln hervor und umklammerte dabei den Griff des Messers. Ryko sprang auf ihn zu und stieß ihm den zweiten Dolch von unten in den Bauch. Ich hörte Ranne ein letztes Mal rasselnd einatmen, während Ryko seinen Leib auf den Boden sinken ließ.
Ich betrachtete mit offenem Mund, wie der Lebende über die Leiche gebückt stand. Ich hatte den Tod bereits gesehen – Dolana und andere waren in der Saline gestorben –, doch Elend und Krankheit hatten ihr Ende wie eine willkommene Erleichterung erscheinen lassen. Hier
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