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Drachentochter

Drachentochter

Titel: Drachentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Goodman
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erneut bis zum Boden.
    »Absetzen«, befahl der Prinz seinen Trägern. Sofort senkten sie die Sänfte, und ein Diener, der schon gewartet hatte, half Kygo beim Aussteigen. Ein zweiter Diener kniete nieder und hielt ihm einen reich bestickten roten Beutel hin.
    Der Prinz nahm den Beutel und verbeugte sich vor mir.
    »Lord Eon, über Generationen hinweg haben meine Vorfahren den Schatz des Spiegeldrachen gehütet, bis der Tag käme, an dem das edle Tier den Drachenkreis einmal mehr zieren und ein Spiegeldrachenauge wieder seinen Platz im Drachenrat einnehmen würde. Ich habe die ruhmreiche Ehre, Euch die Schätze zurückzugeben, die Euch rechtmäßig gehören.«
    Er hielt mir den Beutel entgegen. Ich nahm ihn mit einer weiteren tiefen Verbeugung. Er war schwer, und ich fragte mich, was darin sein könnte. Dann fühlte ich etwas Rundes: der Drachenkompass. Kaum hatte ich ihn erkannt, schlangen sich die Buchperlen enger um meinen Unterarm. Hatten auch sie den Kompass wiedererkannt?
    Wie es dem Protokoll entsprach, betrat der Prinz meine Gemächer und trank mit mir und Lady Dela eine Schale Tee. Unser Gespräch wurde von den verdrießlich dreinblickenden Beamten streng überwacht und so tauschten wir lediglich ein paar höfliche Neujahrswünsche aus und sprachen ansonsten über die Monsunvorhersagen. Die Trauer in den Augen des Prinzen spiegelte meine eigene wider, doch ich hatte keine Möglichkeit, ihm jene zartfühlende Freundlichkeit zu vergelten, die er mir bei der Beisetzung meines Meisters erwiesen hatte. Die Protokollbeamten gewährten uns nicht einen privaten Moment mit ihren scharfen Augen und leise gemurmelten Anweisungen – jeder Schritt des Prinzen musste nun nach den Regeln von Tradition und Ritual erfolgen.
    Noch bevor es halb geschlagen hatte, gaben die Beamten wortlos zu verstehen, der Besuch sei beendet. Wir alle knieten erneut längs des Gehwegs nieder, während der Prinz zu seiner Sänfte zurückgeleitet wurde, und als die Glocke dann schlug, war das königliche Gefolge bereits auf dem langsamen Rückweg zu den Gemächern des Prinzen. Ich sah dem sich entfernenden Zug nach und hoffte, Kygo würde sich noch einmal umdrehen. Die Sänfte hatte den Torbogen schon fast durchquert, als der Prinz sich umblickte und die Hand hob. Ich hob die meine, doch schon rief ihn der Protokollbeamte an seiner Seite zur Ordnung.
    »Er übernimmt also die Pflichten seines Vaters«, sagte Lady Dela, erhob sich anmutig und klopfte ihr weißes Gewand ab. »Wir werden demnächst wieder trauern.« Sie beschirmte die Hand mit den Augen und sah zum Torbogen. »Um den Vater werden wir trauern und für den Sohn werden wir kämpfen.«
    »Seid Ihr inzwischen eine Wahrsagerin?«
    Sie sah mich mit hochgezogenen Brauen an. »Manche sagen das, Mylord. Aber mein Talent ist es nicht, aus Stäben oder Münzen die Zukunft zu prophezeien, sondern die Absichten der Menschen zu erkennen.«
    Rilla kam herbeigeeilt. »Mylord, wo soll ich die Kostbarkeiten aufbewahren?«
    Die Diener warteten noch immer in zwei Reihen darauf, die Möbel und Schachteln in meine Gemächer zu bringen.
    »Das wird Lady Dela entscheiden«, sagte ich, denn ich wollte plötzlich allein sein. »Hol mir bloß den roten Beutel, den der Prinz mir gegeben hat.«
    Rilla brachte mir wunschgemäß den Beutel und schloss dann leise die Tür, damit ich von den schweren Schritten der Diener und Lady Delas scharfen Anweisungen möglichst wenig mitbekam. Aufgeregt saß ich in der kühlen Stille des Empfangszimmers.
    Der Kompass glitt ohne Schwierigkeiten aus dem Beutel und landete angenehm schwer in meiner Hand. Ich strich mit den Fingern über die glatt geschliffenen Facetten des runden Rubins in seiner Mitte. Er war so groß wie das Ei einer Drossel, also ein kleines Vermögen wert. Die Perlen glitten plötzlich aus dem Ärmel heraus, zogen das Buch mit sich und ließen es in meinem Schoß landen. Vorsichtig nahm ich das Buch in die Hände. Offensichtlich bestand eine Verbindung zwischen ihm und dem Kompass, doch welche?
    Ich hielt die goldene Kompassscheibe in die Nähe des Buchs, doch nichts geschah. Was würde passieren, wenn sie es berührte? Ich drückte das Metall an den Ledereinband, doch die Perlen zuckten nicht einmal. Vielleicht übersetzte der Kompass ja die Schriftzeichen? Mit angehaltenem Atem schlug ich das Buch auf und zog ihn über eine Seite – nichts.
    Enttäuscht starrte ich erst auf das Papier, dann auf die in den Kompass gravierten Schriftzeichen. Plötzlich

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