Drachentochter
etwas Wunderbares getan.«
»Erbe?«, wiederholte Chart. »Du … machst mich zum … Erben?«
»Ja. Du wirst Oberhaupt des Hauses sein, während ich im Palast bin. Du wirst ein eigenes Zimmer und alles andere haben.«
Tränen liefen über sein verschmiertes Gesicht. »Oberhaupt … des Hauses?«
Ich wandte mich den übrigen Bediensteten zu. »Habt ihr verstanden? Chart ist der Erbe meines Hauses. Sein Wort ist mein Wort.« Beim letzten Satz funkelte ich Irsa an, auf deren Gesicht sich Abscheu und Empörung abzeichneten. »Hast du auch verstanden?«, herrschte ich sie an.
Mit gepressten Lippen senkte sie den Kopf. »Ja, Mylord.«
Ich wandte mich mit strenger Miene an das restliche Personal. Alle verbeugten sich eilends und schlossen sich Irsas Versicherung an.
Charts Griff um mein Handgelenk wurde zur Umklammerung. »Wie … soll ich denn … Oberhaupt des Hauses sein?«, flüsterte er mit schmerzerfülltem Gesicht.
Hatte er Angst? Ich war so sehr mit meinen Plänen beschäftigt gewesen, dass ich diese Möglichkeit nicht einmal in Erwägung gezogen hatte. »Schon gut. Ich besorge dir einen Kammerdiener, der dir Arme und Beine ersetzt.«
Chart schüttelte den Kopf. »Ich kann weder … lesen noch schreiben … noch sonst etwas.«
Rilla strich ihrem Sohn durchs Haar. »Das kannst zu lernen«, sagte sie mit Nachdruck. »Du bist ein kluger Kopf.« Sie lächelte mir zu. »Lord Eon hat uns ein großes Geschenk gemacht.«
Unvermittelt beugte sich Lon zu mir herüber. »Mylord, darf ich etwas sagen?«
»Ja. Was gibt’s?«
»Darf ich mich als Kammerdiener von Meister Chart anbieten, Mylord? Ich bin stark und kann schreiben und lesen. Ich könnte es ihm beibringen.«
Lon konnte lesen und schreiben? Das hatte ich gar nicht gewusst. Eigentlich wusste ich ohnehin kaum etwas über ihn. Ich musterte den Mann vor mir. Er war immer freundlich zu Chart gewesen und hatte sich von seiner Missbildung nicht abschrecken lassen. Und er war ehrgeizig: Der Wechsel vom Gartenarbeiter zu einem Hausdiener wäre ein steiler Aufstieg, sowohl was seinen Rang betraf als auch seine Bezahlung. Er würde alles dafür tun, sich zu bewähren. Das mochte eine gute Lösung sein. Ich sah Chart in die Augen und fragte ihn lautlos, was er davon hielt.
Er nickte langsam.
»Rilla?«, fragte ich.
Sie musterte Lon von oben bis unten. »Ich weiß, dass du stark und ein guter Arbeiter bist. Aber bist du auch ein netter Mensch, Lon? Bringt die Schwäche anderer dein Bestes oder dein Schlechtestes zum Vorschein?«
Chart verdrehte die Augen. »Mutter.«
Lon lächelte zu ihm herunter. »Deine Mutter handelt zu deinem Besten.« Er nickte ihr einen raschen Gruß zu. »Freifrau Rilla«, sagte er, und sie errötete bei der neuen Anrede, »meine Ehre und meine Bindung an dieses Haus verpflichten mich, Euren Sohn mit Achtung zu behandeln.«
»Hochtrabende Worte«, erklärte sie schroff, doch ihre Mundwinkel wiesen aufwärts. Sie wandte sich an mich und nickte. »Einverstanden.«
»Dann ist die Sache beschlossen«, erklärte ich.
Noch immer hielt ich die Befreiungsmarken in der Hand und entwirrte nun rasch die Lederschnüre. »Hier ist deine Freiheit, Rilla.« Als ich ihr die Marke gab, ließ mich eine plötzliche Erkenntnis innehalten. Rilla war nicht mehr an mich gebunden! Sie konnte gehen! Dann flüsterte mir ein dunkleres Wissen seine Wahrheit zu: Jetzt, wo dein Meister tot ist, ist sie die Letzte, die dein Geheimnis kennt.
»Rilla …« Ich zögerte und vermochte meine Angst nicht in Worte zu fassen, denn das hätte so gewirkt, als würde ich ihr misstrauen.
Die Marke baumelte zwischen uns. Wir blickten uns kurz in die Augen, und ich merkte, wie schnell sie meine Sorgen verstand. Sie nahm Marke und Schnur in ihre Hand.
»Ehre ist nicht bloß eine Sache der Männer, My lord«, sag te sie leise. »Ich werde stets an Eurer Seite sein.«
Ich nickte beschämt und hielt Chart die andere Marke hin.
»Hier ist deine Freiheit, Chart.«
Er sah sie gierig an. »Legst du sie … mir um?«
Ich schob ihm die Schnur über den Kopf, zupfte den Anhänger vor seinem geflickten Gewand zurecht und stellte fest, dass ich ihm neue Sachen würde besorgen müssen. Er drückte die Marke an die Brust, als könnte sie verschwinden. »Danke.«
»Kommt, wir feiern in der Bibliothek«, sagte ich. »Rilla, befiehlst du den Mägden bitte, uns Wein zu bringen? Und sie sollen auch ein Zimmer für den neuen Erben herrichten.«
Chart kicherte.
»Natürlich«, erwiderte
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