Drachentochter
meine Vorfahren mich beschützen, betete ich, kippte den Inhalt des Gefäßes hinunter und musste nach dem letzten, besonders bitteren Schluck husten.
Ich stellte die Schale aufs Tablett zurück, setzte mich kurz und versuchte, die Wirkung des Pulvers zu spüren. Zwar war es noch zu früh dafür, doch nachdem ich das Mittel endlich genommen hatte, wollte ich wissen, ob es anschlug.
Ein leises Pochen an der Schlafzimmertür ließ mich hochschrecken. »Herein.«
Rilla trat eilig mit einem langen Reisemantel ein. »Ryko sagt, wir seien so weit, Mylord.« Sie schüttelte das Gewand aus und hielt es mir zum Hineinschlüpfen hin.
»Danke.« Ich stand auf und schob die Arme in die weiten Ärmel. »Hat Chart sich an seine neue Rolle gewöhnt?«
Rilla strahlte. »Das hat er.« Sie strich ein letztes Mal über den steifen Kragen des Mantels und nestelte dann in ihrer Rocktasche. »Er wollte, dass ich Euch das hier gebe.«
Ich faltete den kleinen Pergamentzettel auseinander, auf dem nur eine kurze Nachricht in zittriger schwarzer Tusche stand: Es tut mir leid.
Ich lächelte. »Schreibt er schon?«
»Er und Lon haben die ganze Nacht daran gearbeitet.«
»Sag ihm unbedingt, dass es nichts gibt, was ihm leidtun müsste. Er hat nur getan, worum der Meister gebeten hat.«
»Ich werde es ihm sagen.« Sie berührte mich am Arm. »Ihr habt so viel für uns getan. Danke.«
»Du hast genauso viel für mich getan.« Eine plötzliche unheilvolle Ahnung ließ mich im Zimmer auf und ab gehen. »Aber es gibt noch etwas, worum ich dich bitten möchte, Rilla.«
»Natürlich – was es auch sei.«
»Falls ich dich je wegschicke, wirst du Chart dann nehmen und die Stadt so rasch wie möglich verlassen? Ohne Fragen zu stellen? Wirst du dann einfach an einen sicheren Ort gehen? Auf die Inseln zum Beispiel? Wirst du das tun?«
»Aber ich würde Euch doch nicht –«
Ich hob die Hand. »Nicht. Versprich mir, dass du gehen wirst.«
Sie nickte, doch ihre Miene war besorgt. »Meint Ihr, dass es dazu kommen wird?«
»Ich weiß es nicht. Ich hoffe, dass euer neuer Status als Freie euch beschützen wird. Doch wenn nicht, müsst ihr rasch handeln. Und dafür braucht ihr Geld.« Ich winkte sie zur Türschwelle. »Komm mit, schnell.«
Ich führte sie in die Ankleidekammer. Die Uniform, die ich bei der Anwärterzeremonie getragen hatte, lag ordentlich auf einem unteren Regal im Kleiderschrank. Ich zog sie hervor und schob die Finger am Saum entlang, bis ich auf etwas Hartes stieß.
»Chart hat mir das für den Fall gegeben, dass ich fliehen muss. Erinnerst du dich daran?«
Sie nickte. »Ein Tiger. Er hat ihn mir gezeigt, als er ihn gefunden hat.«
Ich nahm ihre Hand und schloss sie über der im Seidensaum verborgenen Silbermünze. »Jetzt gehört sie dir. Ihr zwei könnt ein paar Monate davon leben, falls die Dinge schiefgehen.«
Rilla nahm meine Hand. »Aber was wird aus Euch? Braucht Ihr das Geld nicht für Eure Flucht?«
Ich antwortete nicht. Sie verstärkte den Druck ihrer Hand kurz und wandte sich dann dem Nähzeug zu. Wir wussten beide: würden sie und Chart fliehen müssen, wäre es für mich bereits zu spät.
Im Hof der Büffeldrachenhalle herrschte ein lärmendes Durcheinander von Männern, die Gepäck schleppten, Ochsen anschirrten und Pferde führten. Mein Kutscher rief immer wieder meinen Namen, bahnte sich langsam eine Gasse auf dem überfüllten Platz und hielt schließlich am Vordereingang der Halle.
Ein Diener kam auf uns zu und verneigte sich. »Lord Tyron lässt Euch grüßen, Mylord, und bittet um Nachsicht. Er wird gleich bei Euch sein.« Er bot mir einen Kelch Wein an, doch ich winkte ab. Mein Vorkoster saß in einem Wagen am Ende der Schlange. Ich ließ mich in die Polster der prächtigen Kutsche zurücksinken und beobachtete, wie ein Vorreiter mit knapper Not ein nervöses Pferd beruhigte. Ich wusste, wie das Tier sich fühlte.
Endlich trat Lord Tyron aus der Halle. Ich machte ihm Platz, als er in die Kutsche stieg. Sein Gewicht ließ die gut gefederte Sitzkabine schwanken.
»Der Prinz hat Euch also seine kostbare Kutsche geliehen, ja?«, fragte Tyron fröhlich, doch sein Ton passte nicht recht zu seiner sorgenvollen Miene. Die Riemen der Federung knirschten unter uns und schwangen hin und her, als er sich neben mich setzte. »Nun kann keiner mehr Eure Kaisertreue bezweifeln.«
»Ich glaube nicht, dass irgendwer je daran gezweifelt hat«, erwiderte ich.
Lord Tyron nickte. »So wenig wie an meiner Treue.«
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