Drachentochter
auf. »Anscheinend ist der Sitz des Rattendrachenauges im Moment der sicherste Ort.«
Er beugte sich über den Nacken des Pferdes und sofort rannte das Tier schneller. Ich klammerte mich an Rykos Tail le, schloss vor Angst die Augen und betete, nicht hinunterzufal len. Gut, dass wir nicht lange reiten mussten: Die nächste Halle im Ring war die des Rattendrachen.
Ein Wechsel der Gangart ließ mich die Augen öffnen. Das Pferd ging nur noch im Schritt und wir arbeiteten uns durchs dichte Unterholz des Jagdwaldes. Nur wenige Wochen zuvor hatte Ryko mich auf dem Rücken durch genau diesen Wald getragen; seine Freundschaft und Unterstützung waren für mich ein fester Halt inmitten all der Intrigen und Lügen bei Hof gewesen und die Rückeroberung des Buches hatte mich mit strahlender Hoffnung erfüllt. Nun war ich erneut hier unterwegs, doch Ryko war inzwischen eher Feind als Freund, und an die Stelle der strahlenden Hoffnung waren Zweifel und Verzweiflung getreten. Wir näherten uns dem Endspiel: Entweder würde ich die Macht des Spiegeldrachen erringen, oder ich würde sterben. Da Sethons Armee auf dem Weg zum Pa last war und Idos Männer die Drachenaugen töteten, schien Letzteres weitaus wahrscheinlicher. Dieser Gedanke erfüllte mich mit solcher Niedergeschlagenheit, dass ich den Eindruck hat te, mein Magen sei zu Eis gefroren.
Schließlich ließ Ryko das Pferd hinter einem dichten Gebüsch halten.
»Absitzen«, flüsterte er mir zu.
Ich löste mich vorsichtig von ihm, hievte mein lahmes Bein über den Rücken des Pferdes und glitt in einem Durcheinander smaragdgrünen Seidenstoffs abwärts. Kaum hatte ich den Boden erreicht, verlor ich auf dem unebenen Untergrund das Gleichgewicht und fiel mit einem leisen Seufzer auf alle viere.
Ryko landete leichtfüßig neben mir, befahl mir mit einer Handbewegung, mich hinzusetzen, und sagte dann: »Wartet.«
Ich setzte mich, weniger aus Gehorsam als vielmehr wegen eines plötzlichen Zitterns in den Oberschenkeln. Schweigend führte er das Pferd ins Gebüsch. Ich tastete dorthin, wo Oberschenkel- und Beckenknochen sich trafen, und versuchte, den brennenden Schmerz durch Massage ein wenig zu lindern. Der Ritt und der unvermittelte Verzicht auf das Sonnenpulver hatten ihn ins fast Unerträgliche wachsen lassen.
Jahre schienen vergangen zu sein, ehe Ryko zurückkehrte und sich neben mich kauerte. Er legte den Zeigefinger an die Lippen, wies dann nach links und hielt mir zwei Finger unter die Nase.
»Zwei Männer?«, flüsterte ich fast lautlos.
Er schüttelte den Kopf und hielt mir erst zwei, dann zehn Finger hin. Zwanzig Männer.
Die Luft ringsum schien sich zusammenzuziehen.
Er berührte mich am Arm, wies nach rechts und strich mit der Hand über den Boden. Sollten wir etwa zur Halle kriechen? Mit zwanzig Soldaten im Nacken? Ich bezweifelte, dass meine Hüfte das mitmachen würde, bemerkte dann aber die kalte Geschäftsmäßigkeit in Rykos Zügen. Er würde mich tragen, wenn ich ihn darum bäte, aber ich würde es allein schaffen. Ich würde ihm beweisen, dass ich noch immer Lord Eon war.
Ryko erhob sich und verschwand lautlos in einer Lücke im Unterholz. Ich folgte ihm einen überwucherten Pfad entlang, den es wohl eher in seiner Einbildung als in Wirklichkeit gab. Ich schwitzte bereits in der schweren Geschichtenrobe, doch wenigstens war sie überwiegend dunkelgrün, verschwamm also mit den übrigen Tönen der Nacht. Ab und an blieb Ryko stehen und lauschte, wobei seine Miene immer düsterer wur de. Meine Ohren waren nicht so geübt wie die seinen und ich hörte lediglich Tierrufe und das Rascheln von Blättern und Zweigen. Doch die Art, wie er unser Tempo erhöhte, machte mir deutlich, dass die Soldaten an Boden gewannen.
Dann hörte ich es – das Knacken eines brechenden Astes.
Ryko drückte mich flach auf den belaubten Boden.
Ich hielt den Atem an und blinzelte in die Dunkelheit, konnte aber niemanden erkennen. Mit allen Sinnen tastete ich in die Nacht hinaus und roch unseren Schweiß, spürte piksen de Zweige und hatte den sauren Geschmack der Furcht im Mund. Neben mir hörte ich Rykos Messer mit leisem Schnalzen aus den Armscheiden gleiten. Dann berührte er meine Hand, legte ein Messer hinein und schloss meine Finger um das Heft. Ich sah ihm in die Augen. Sollte ich damit kämpfen oder mich damit töten? Doch alles, was ich in seinem Gesicht entdeckte, war die Leidenschaft des Jägers.
Er wandte den Kopf lauschend nach links, dann nach rechts.
Ein
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