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Drachentochter

Drachentochter

Titel: Drachentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Goodman
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auferstehen. Welcher Schattenmann würde auf einen derart kostbaren Gegenstand verzichten? Es gab nur eine Antwort: ein Schattenmann, der bereits tot war.
    »Meister«, flüsterte ich, »das bringt sicher Unglück.«
    Er runzelte die Stirn. »Es wird dafür sorgen, dass sich niemand an deiner Größe und dem hellen Klang deiner Stimme stört«, sagte er entschieden. »Und etwaige Geister wurden durch großzügige Münzopfer versöhnt.« Er nahm das Gefäß und wies auf die frische Wachsschicht, die den Deckel verschloss. »Laut der Unterlagen bist du bereits untersucht und zu einem wahren Mondschatten erklärt worden. Wenn du morgen erwählt wirst und in die Halle des Rattendrachen einziehst, wirst du nicht länger unter meinem Schutz stehen. Du musst deinen Status als Mondschatten und deine Missbildung nutzen, um dafür zu sorgen, dass dich niemand unbekleidet sieht.«
    Ich senkte den Kopf. Es brachte Unglück, zusammen mit einem Krüppel zu baden oder ein Zimmer mit ihm zu teilen. Und ein verkrüppelter Eunuch würde sogar noch größeres Unglück bringen. Mein Meister hatte an alles gedacht. Doch es gab noch immer eine Schwierigkeit.
    »Meister?«
    »Ja?« Er stellte das Gefäß auf den Tisch zurück.
    »Ich habe heute mit Waffenmeister Hian gesprochen und soll Euch von ihm grüßen.« Ich rang die Hände im Schoß.
    Er nickte. »Du hast ihm hoffentlich für die Freundlichkeit gedankt.«
    »Ja, Meister.« Ich schluckte, denn plötzlich war meine Kehle trocken und das Sprechen fiel mir schwer. »Er …«
    Mein Meister schob die beiden Totentafeln über den Tisch. »Deine Vorfahren«, sagte er unvermittelt. »Für deine Gebete heute Abend. Es sind nur Frauen, aber es ist besser als nichts.«
    Ich brauchte einen Moment, um zu begreifen, was er gesagt hatte. »Meine Vorfahren?«
    In die eine Tafel war der Name Charra geschnitzt, in die andere der Name Kinra. Ich hob die Hand, um sie zu berühren, zögerte dann aber und warf meinem Meister einer fragenden Blick zu.
    »Ja, sie gehören dir«, sagte er nickend. »Ich habe sie von deinem früheren Meister bekommen. Als er dich deinen Eltern abkaufte, bestand deine Mutter darauf, dass die Gedenkstücke bei dir blieben.«
    Ich strich über die glatte Oberfläche der Charra gewidmeten Tafel, deren einziger Schmuck der Name und ein schlichter Rahmen waren. Meine Mutter hatte sie mir gegeben! Ich blinzelte heftig und biss die Zähne zusammen, um nicht weinen zu müssen. Kinras Tafel war alt und abgenutzt, und unter dem Namen war nur noch schwach der geschlängelte Umriss eines Tiers zu erkennen. Wer mochten diese Frauen gewesen sein? Meine Großmutter? Meine Urgroßmutter?
    Als ich aufsah, stellte ich fest, dass mein Meister mich aufmerksam beobachtete.
    »Bete heute Abend inbrünstig, Eon«, sagte er leise. »Wir können uns nicht erlauben zu scheitern.« Er wies auf die Tafeln. »Geh, errichte deinen Altar und bereite dich auf das Reinigungsritual vor. Du kannst Rilla um alles bitten, was du dafür brauchst.«
    Ich war entlassen, doch zum ersten Mal in vier Jahren gehorchte ich nicht. Ich nahm den Blick nicht vom Namen meiner Ahnin Kinra und versuchte, meine Not in Worte zu fassen.
    »Ich sagte, du kannst gehen, Eon.«
    Ich rührte mich nicht.
    Mein Meister hieb mit dem Handballen auf den Tisch und der Knall ließ mich zusammenzucken.
    Ich klammerte mich an die Armlehnen und war froh um ih re Festigkeit. »Meister«, begann ich heiser und wagte es, ihn anzusehen. Er machte ein finsteres Gesicht. »Waffenmeister Hian hat mir gesagt, der Dritte Spiegeldrache könne durch einen Umgekehrten Zweiten Pferdedrachen ersetzt werden. Stimmt das, Meister?«
    »Warum?«
    Ich hörte, dass seine Stimme bedrohlich schärfer geworden war, doch ich musste es wissen.
    »Ich kann die Sequenz des Dritten Spiegeldrachen nicht vollständig ausführen, Meister. Mein Bein. Ich kann es nicht. Wenn ich stattdessen den –«
    Ich sah ihn sich bewegen, war aber zwischen den Armlehnen gefangen. Sein Handrücken donnerte gegen mein Ohr und ich knallte gegen die Holzlehne.
    »Und das sagst du mir erst jetzt ?«
    Mein Gesicht brannte vom Ohr bis zum Kinn. Ich krümmte mich unter dem stechenden Schmerz in meinen Rippen und versuchte, den Schlägen auszuweichen, die mich an Oberschenkeln, Schulter und Rücken trafen und mir durch Mark und Bein fuhren.
    »Du hast uns umgebracht«, schäumte er.
    »Waffenmeister Hian sagte, Ihr wüsstet, ob es wahr ist«, keuchte ich. »Bitte …«
    Durch meine Tränen

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