Drachentochter
er leise.
Ich war so erschrocken, dass ich ihm in die Augen sah. Geistmacher handelten mit Kräutern, Tränken und – wie es hieß – mit den Geistern der Ungeborenen.
»Sie hat mir das hier gegeben.« Er schob mir den Beutel zu. »Wenn man sich jeden Morgen einen Tee daraus brüht, wehrt es die Mondenergie ab. Aber man darf es nur drei Monate lang nehmen. Danach ist es Gift für den Körper.«
Ich sank in meinem Stuhl zusammen.
»Dein Zyklus muss für die Zeremonien unterbrochen werden«, fuhr er fort. »Und wenn du morgen erfolgreich bist –«
»Die Blutung wird bald einsetzen«, flüsterte ich.
»Was?«
»Ich habe alle Anzeichen.« Ich duckte den Kopf noch tie fer. »Es ist früher als sonst. Ich weiß nicht, warum.«
Ich sah, wie die Hände meines Meisters die Tischplatte umklammerten. Angesichts seiner Wut lastete die Luft zwischen uns plötzlich schwer und drückend auf mir.
»Ist es schon so weit?«
»Nein, aber ich habe –«
Er hob die Hand. »Ruhe.« Er trommelte mit seinen langen Fingern auf die Tischplatte. »Wenn es noch nicht so weit ist, besteht Hoffnung. Sie hat gesagt, du sollst das Pulver vor Beginn deines neuen Zyklus nehmen.« Er nahm den Beutel. »Du musst sofort einen Becher davon trinken.«
Er lehnte sich zurück und zog am Glockenstrang hinter dem Schreibtisch. Fast sofort öffnete sich die Tür am anderen Ende des Zimmers. Rilla trat ein und verneigte sich.
»Tee«, sagte er. Sie verbeugte sich erneut, verließ das Zimmer und schloss die Tür.
»Es tut mir leid, Meister«, sagte ich.
»Es wäre überaus bedauerlich, wenn die Launen deines Körpers vier Jahre Vorbereitung zunichtemachen würden.« Er schob die Finger ineinander. »Ich weiß nicht, warum dir die Gabe der Drachensicht geschenkt wurde, Eon. Die Götter haben wohl etwas mit dir vor. Wie anders lässt sich erklären, dass ich auf der Suche nach einem geeigneten Anwärter plötzlich den Drang verspürte, es mit einem Mädchen zu probieren? Obwohl das völlig gegen die natürliche Ordnung der Dinge verstößt.« Er schüttelte den Kopf.
Mir war klar, dass er recht hatte. Eine Frau konnte keine Macht besitzen. Und falls doch, verdankte sie es allein ihrem Körper, keinesfalls ihrem Geist. Und sicher nicht ihrem Verstand.
»Aber du hast mehr elementare Macht als alle Drachenaugen zusammen«, fuhr er fort. »Und morgen wird diese Macht den Rattendrachen anziehen.«
Ich sah weg, um meine plötzlich aufkeimenden Zweifel zu verbergen. Vielleicht täuschte mein Meister sich ja?
Er beugte sich näher zu mir. »Wenn er dich erwählt, musst du einen Handel mit ihm abschließen. Ich kann dir da keinen Rat geben – die Vereinbarung fällt zwischen jedem Drachen und seinem neuen Lehrling anders aus. Doch ich kann dir sagen, dass der Drache in dir eine Energie suchen wird, die er haben will, und wenn er sie sich nimmt, dann seid ihr vereint.«
»Was für eine Art von Energie, Meister?«
»Wie gesagt: Das ist jedes Mal anders. Doch sie ist mit einem der sieben Energiepunkte des Körpers verbunden.«
Mein Meister hatte mir von diesen Punkten erzählt: sieben Bündel unsichtbarer Energie, die in einer Linie vom Steißbein bis zur Schädeldecke angeordnet waren und den Fluss des Hua, der Lebenskraft, durch den physischen und emotionalen Körper des Menschen regulierten. Anscheinend trafen die Gerüchte zu, die in der Schule kursierten: Die Drachenaugen gaben wirklich einen Teil ihrer Lebensenergie auf. Kein Wunder, dass sie so schnell alterten.
»Als ich vom Tigerdrachen erwählt wurde«, fuhr mein Meister fort, »habe ich ihm die Kraft überlassen, von der kein Mann sich leichthin trennt.« Er sah mir kurz in die Augen und blickte dann weg. »Mach dich also darauf gefasst, dass es nicht leicht sein wird. Du kannst die Kraft des Drachen nicht gewinnen, ohne dafür etwas Wertvolles zurückzugeben.«
Ich nickte, obwohl ich ihn eigentlich nicht verstand.
»Wenn der Handel abgeschlossen ist und du der Lehrling des Rattendrachenauges bist, müssen wir noch vorsichtiger sein. Du darfst keinen falschen Schritt tun, Eon – oder wir werden beide sterben.«
In seinen Augen standen Angst und Hoffnung, und mir war klar, dass er in meinen Augen das Gleiche sah. Die Tür am anderen Ende des Zimmers öffnete sich erneut. Mein Meister lehnte sich zurück, als Rilla mit einem schwarz lackierten Tablett herankam, auf dem alles stand, was zur Zubereitung von Tee nötig war. Sie stellte das Tablett auf den Schreibtisch.
»Nur Eon wird eine
Weitere Kostenlose Bücher