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Drachentochter

Drachentochter

Titel: Drachentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Goodman
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ungewohnt eng waren. Die Schuhe waren mit Faden umsäumt und wiesen vorne dasselbe Drachenmuster auf. Was mochte meinen Meister all dieser Putz gekostet haben? Ich erhob mich, übte ein paar Schritte der ersten Sequenz und achtete darauf, wie anders sich meine Zehen anfühlten, als ich vom Ersten Rattendrachen in dessen zweite Figur wechselte. Die Ledersohlen waren rutschiger als meine alten Sandalen; das konnte sich auf dem gestampften Sand der Drachenarena als tückisch erweisen. Ich drehte mich wieder und wieder, fand immer aufs Neue mein Gleichgewicht und genoss das Wirbeln des Seidengewands, das sich aufbauschte, um sich gleich darauf wieder an meinen Körper zu schmiegen.
    Das Klappern der Ofenluke in der Küche ließ mich innehalten. Das war Kuno und er schürte die Herdfeuer. Gleich würde der Morgen dämmern und es gab noch viel zu tun. Ich hetzte zum Kleiderschrank und suchte unter meinem gefalteten Arbeitskittel nach der Schriftrolle. Neben dem Training und meinen anderen Verpflichtungen hatte ich nur sporadisch daran arbeiten können, doch nach drei Monaten war sie endlich vollendet – eine schwarze Tuschezeichnung der Straßen und der Landschaft rings um das Haus meines Meisters. Sie war aus Fetzen von Maulbeerpapier gemacht, die mir der Papiermacher bei meiner Schule überlassen hatte. Er hatte mir erlaubt, die beim Zuschneiden anfallenden Reste zu behalten, und ich hatte sie zu einer Rolle zusammengenäht. Die Zeichnung war im Stil des großen Meisters Quidan gehalten – ein langes, schmales Landschaftsbild, das immer nur teilweise entrollt werden sollte, um die ausgiebige Betrachtung einzelner Details zu erlauben. Ob Chart sie mögen würde? Ich wusste, dass meine Kunst bescheiden war, aber vielleicht würde sie ihm helfen, sich die Welt außerhalb der Küche vorzustellen. Ich strich über die schlichten Holzstöcke an den Enden der Rolle. Ich würde es vermissen, ihm unsere Nachbarschaft zu beschreiben und über seine boshaften Bemerkungen zu lachen.
    Im kleinen Innenhof war es ruhig. Ich steckte die Rolle in meinen Ärmel und blieb kurz in der Tür stehen. Die milde Morgenluft und die Stille ließen mich in Meditation versinken. Sollte ich es wagen, den Rattendrachen zu rufen? Einen letzten Blick auf ihn werfen vor der Zeremonie? Vielleicht würde er mich diesmal ja zur Kenntnis nehmen? Ich atmete tief ein und wandte mein geistiges Auge Richtung Nordnordwest. Der schimmernde Umriss des Drachen tauchte auf, eine Andeutung seines riesigen, pferdeartigen Kopfs und seines schlangenhaften Leibs. Dann begannen die Ränder des Bildes auszufransen.
    Meine Beine bogen sich, während etwas an meinem Bewusstsein zehrte. Ich riss mich von der Vision los und fiel schmerzhaft auf die Knie. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Keuchend lehnte ich mich an den Türpfosten, wandte meine Aufmerksamkeit nach innen und verfolgte mühsam den Fluss meines Hua. Es schien keinen Schaden genommen zu haben und meine Kraft kehrte bereits zurück. Vielleicht war es nur geschehen, weil heute das Jahr des Rattendrachen begann. Ich atmete mehrmals tief durch, richtete mich auf und ging langsam zur Küche. Immerhin hatte mich die seltsame Drachensicht, die mich überhaupt erst zum Anwärter gemacht hatte, nicht verlassen. Ob sie dem Rattendrachen etwas bedeutete, würde sich sehr bald zeigen.
    An der Küchentür schlüpfte ich aus den Schuhen und trat ein. Kuno stand am Herd und rührte die Morgensuppe meines Meisters um. Der Geruch von deftiger Fleischbrühe und dampfenden Brötchen ließ meinen Magen knurren. Ich fuhr mir mit der Zunge über die Lippen und erinnerte mich an das Stück Brot, das in meinem Zimmer versteckt war.
    »Eon?« Chart spähte hinter einem Bein des Küchentischs hervor und verdrehte die Augen, als er mein prächtiges Gewand sah. »Kleiner … Lord.«
    Kuno rümpfte die Nase, als ich an ihm vorbeiging, um mich unter Schmerzen neben Chart zu kauern.
    »Wenn er deine neuen Gewänder dreckig macht, wird das einen Mordsärger geben«, sagte Kuno, trampelte durch die Küche und verschwand in der Mehl- und Getreidekammer.
    Chart rückte näher heran und berührte den Saum meines Gewands. »So weich … wie der Hintern … eines Mädchens.«
    »Woher willst du das wissen?«, fragte ich verächtlich.
    »Ich weiß mehr … als du«, erwiderte er und ließ die Brauen wackeln. »Die Mägde denken … der arme Chart … weiß nicht, was er tut.«
    Seine heitere Anzüglichkeit ließ mich den Kopf schütteln. »Ich hab

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