Drachentochter
hatte; ein niedriges Kohlenbecken aus gebranntem Ton mit einem Kochtopf, den ich auf einem Abfallhaufen gefunden hatte. Welcher Luxus im Vergleich zur Saline! Würde ich all dies nun zum letzten Mal sehen? Oder würde ich zurückkehren?
»Ich gebe dir durch eins der Mädchen Bescheid, wenn der Meister angekleidet ist«, sagte Rilla und öffnete die Läden vor dem schmalen Fenster.
»Danke, Rilla.«
Sie blieb an der Tür stehen. »Chart und ich haben für deinen Erfolg gebetet, Eon. Aber du sollst wissen, dass wir dich vermissen werden.«
Sie blickte mir kurz in die Augen und ich sah Furcht und Sorge in ihren scharfen Zügen. Dann lächelte sie und ging. Würde mein Meister Rilla und Chart verkaufen, wenn ich heute versagte? Die Verträge, die sie an ihn banden, waren noch nicht einmal zur Hälfte erfüllt; Rilla ritzte die Tage, die sie bereits für ihn gearbeitet hatten, in einen Stock ein, der hinter einem losen Ziegel in der Küche verborgen war. Chart hatte ihn mir gezeigt.
Ich trat ans Kohlebecken. Meine Bewegungen setzten den intensiven Duft reinigender Kräutertinkturen frei, mit denen ich meine Haut eingerieben hatte. Und ich? Würde ich in die Saline zurückgeschickt, falls ich versagte? Schon die Erinnerung an die Arbeit in dem erstickenden Staub ließ mich husten und würgen. Ich drückte die Hände an die Brust und tastete nach dem Fluss meines Huas. Doch ich fühlte nur die edle Seide meines Zeremoniengewands und mein stramm sitzendes Brustband. Mein Meister hatte mich gelehrt, mein Hua durch die sieben Energiepunkte zu spüren, doch es brauchte ein ganzes Leben, um diese Technik sicher zu beherrschen. Ich konzentrierte mich auf mein Inneres und tastete an den Meridianen entlang. Schließlich entdeckte ich die Blockade im Steißbein, dem Sitz der Furcht. Ich atmete langsam, bis sich der feste Knoten lockerte.
Ich kniete mich auf den Steinfußboden und entfernte die Asche aus dem Kohlebecken. In mir stieg etwas auf. Ein ver trautes Flackern des Bewusstseins. Während meiner Mondta ge verdüsterte sich mein Schatten-Ich – Eona – und hatte seltsa me Gedanken und Gefühle. Mochte der Tee der Geistmacherin die Unterleibsschmerzen vom Vortag auch gelindert und das Einsetzen der Blutung verhindert haben: Die Schatten hatte er nicht vertrieben. Ich konnte mir nicht erlauben, Eona und ihre quälenden Wünsche in mein Bewusstsein treten zu lassen. Ich verdrängte sie und konzentrierte mich darauf, Zweige und Holzkohlestücke ins Heizbecken zu schichten und sie anzuzünden. Ich blies in die schwache Flamme, bis sie kräftiger wurde, und hielt dann den Topf schräg, um zu sehen, wie viel Wasser er enthielt. Es war gerade noch genug, um den Tee zu kochen. Vielleicht würde diese Dosis Eona verjagen.
Wenn ich versage, wird mein Meister mich als Junge nicht brauchen können.
Ich wollte diesen unwillkommenen Gedanken loswerden.
Dann biete ihm den Körper eines Mädchens an. Es gelüstet ihn danach. Du konntest es während des Reinigungsrituals in seinen Augen lesen.
Nein, das stimmte nicht! Da war nichts in den Augen meines Meisters gewesen während des Rituals. Er hatte die Worte gesagt, mir das Duftwasser über den Kopf gegossen und mich dann verlassen, damit ich mich wusch und einölte. Nichts hatte ich in seinen Augen gesehen. Ich beugte mich über den Topf und redete dem Wasser zu, doch schneller heiß zu werden.
Ich tat eine Prise Tee in meinen Becher, schüttete das beinahe kochende Wasser darauf, rührte mit einem Zweig um und trank das Gebräu auf einen Zug. Die beißende Hitze und der widerliche Geschmack vertrieben Eonas aufwühlende Gedanken.
Der Himmel vor dem Fenster hellte sich allmählich auf. Ich befestigte den Beutel mit dem Tee an der Innenseite meines Hosenbunds und strich mir Ascheflocken vom Zeremoniengewand. Ich hatte die prächtige Robe zu Ehren meiner neu gefundenen Ahnen während der Nachtwache getragen. Es war der weichste Stoff, den ich je auf der Haut gespürt hatte, ein Seidengewebe im leuchtenden Rot der Anwärter. Zwölf goldene Drachen waren rund um den Saum des Gewands gestickt und die Schärpe war an beiden Enden mit goldenen Quasten eingefasst. Die Robe fühlte sich wie mit Duftöl versetztes Wasser an und raschelte wie das Flüstern des Windes. Kein Wunder, dass die Adligen sich wie Götter aufführten, schienen ihre Gewänder doch die Elemente der Natur eingefangen zu haben. Ich zog die dazu passenden roten Schlüpfschuhe aus Leder an und bewegte die Zehen, weil sie
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