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Drachentochter

Drachentochter

Titel: Drachentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Goodman
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hindurch sah ich ihn erneut die Hand heben. Ich schloss die Augen, zog den Kopf ein und erwartete den Schlag. Mein ganzes Dasein schnurrte auf das Erwarten seines Fausthiebs zusammen.
    Doch es gab keinen Schlag.
    Keinen weiteren Schmerz.
    Ich öffnete die Augen.
    Er war nicht da. Mit angehaltenem Atem sah ich mich im Zimmer um. Er stand an der gegenüberliegenden Wand und arbeitete sich in fieberhafter Eile durch eins der oberen Rega le, in denen die Schachteln mit den Schriftrollen aufbewahrt wurden. Ich streckte mich vorsichtig, strich mit den Fingern über meine Rippen und zuckte zusammen, wenn ich auf einen Bluterguss stieß.
    Nun zog er eine Schachtel aus dem Regal. »Die Chronik von Detra. Dort sollte es beschrieben sein.«
    Er schüttelte die kostbare Schrift aus ihrem Holzbehälter. Die Schachtel klapperte zu Boden. Mit wenigen Schritten war er wieder am Schreibtisch und hatte den Text ganz entrollt. Vor mir sah ich ein Meer an Zeilen, eng geschrieben und in Kalligrafie abgefasst.
    »Was hat Hian genau gesagt?«, wollte er wissen.
    »Dass die Sequenz des Dritten Spiegeldrachen schon einmal durch die des Umgekehrten Zweiten Pferdedrachen ersetzt worden sei und Ranne mir das nicht hätte verheimlichen dürfen.«
    Das Gesicht meines Meisters verdüsterte sich, als er hörte, wer der eigentliche Schuldige gewesen war.
    »Hian sagte auch, als einer der besten Geschichtskenner wüsstet Ihr sicher, ob er recht habe«, ergänzte ich eilig.
    Er musterte mich kurz und beschäftigte sich dann wieder mit der Schriftrolle. Sein Zeigefinger schwebte beim Lesen über den Worten. Ich blieb so reglos wie möglich und wartete darauf, dass die Flamme des Triumphs sein Gesicht erhellte.
    »Diese zweite Möglichkeit war vor fünfhundert Jahren in Gebrauch, also zu einer Zeit, als wir den Spiegeldrachen noch nicht verloren hatten«, sagte er schließlich. »Seither ist sie nicht mehr eingesetzt worden.«
    »Darf ich sie also nicht verwenden, Meister?«, fragte ich flüsternd.
    Er hob die Hand. »Ruhe.« Er vertiefte sich erneut in die Schriftrolle. »Ich kann kein Verbot entdecken.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, ihre Geltung ist nicht aufgehoben. Sie ist bloß seit fünfhundert Jahren nicht benutzt worden.« Er sah mich mit loderndem Blick an. »Das ist ein gutes Omen. Es muss ein gutes Omen sein.«
    Ich richtete mich im Stuhl auf und die neuen Blutergüsse taten weh. »Den Zweiten Pferdedrachen beherrsche ich schon, Meister. Ich muss nur noch die Übergänge trainieren«, sagte ich.
    »Und ich muss den Weg ebnen«, murmelte mein Meister, wickelte die Schriftrolle zusammen und läutete die Glocke. Die Tür ging auf und Rilla erschien.
    »Lass eine Rikscha kommen. Ich muss zum Rat«, sagte er zu ihr.
    Dann wandte er sich wieder an mich. »Geh trainieren. Du weißt, was auf dem Spiel steht.«
    Ich arbeitete mich aus dem Stuhl, verneigte mich tief und konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Der Umgekehrte Zweite Pferdedrache war zulässig. Ich hatte noch eine Chance.

 
3
     
    Eine Berührung am Arm weckte mich. Ich saß zusammengesunken an der Wand neben meinem Altar und mein Gesicht lehnte am kalten Stein. Die Umrisse einer schlanken Gestalt schälten sich aus dem Halbdunkel.
    Rilla.
    »Der Meister wird bald aufstehen«, sagte sie leise.
    Ein Gefühl von Angst durchzuckte mich und vertrieb den letzten Rest von Müdigkeit. Die rote Gebetskerze vor den Totentafeln war zu einem Stumpen heruntergebrannt, und der Fisch und der Reis in der kleinen Opferschale rochen nach den Stunden, die sie hier gestanden hatten. Ich rappelte mich auf und glättete eine Falte im Ärmel meines Zeremoniengewands.
    »Ich hätte nicht schlafen sollen.«
    Bulla strich mir behutsam durchs kurz geschorene Haar. »Keine Sorge. Niemand hat es gesehen.« Sie erhob sich und unterdrückte ein Gähnen. »Bald läutet die Morgenglocke. Du musst dich beeilen, wenn du dich noch von Chart verabschieden willst.«
    Ich nickte und rieb mir die Kälte aus Gesicht und Nacken. Mein Meister hatte den kleinsten der gemauerten Lagerräume im hinteren Teil des Hauses zum Schlafraum für seine Anwärter bestimmt. In diesen Sommermonaten war das Zimmer einer der wenigen kühlen Orte, doch im Winter war es eine bitterkalte Zelle. Ich blickte mich in der engen Kammer um, die vier Jahre lang mein Zuhause gewesen war: Meine Matratze lehnte noch zusammengerollt an der Wand; daneben stand ein alter Kleiderschrank; dann das Schreibpult, an dem ich viele Stunden lang kniend studiert

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