Drachentochter
junger Soldat bemerkte die Bewegung aus den Augenwinkeln. Er ging zurück, um nachzuschauen. Ich werde nie das satte Geräusch vergessen, mit dem Ryko ihm das Messer in den Leib jagte. Oder das Staunen, das in den Augen des Sterbenden stand.
Als wir schließlich den Torbogen zu den Päoniengemächern erreichten, konnte ich den Anblick der niedergemetzelten Palastwächter, der zu Tode getrampelten alten Menschen und der Dienerinnen, die sich unter Sethons zudringlichen Soldaten wanden, nicht länger ertragen. Selbst Ryko, der abgehärteter sein musste in diesen Dingen, war blass und murmelte immer wieder: »Wir dürfen nicht anhalten, wir dürfen nicht anhalten.«
Der Hof vor den Päoniengemächern war leer, und der stil le, sorgfältig gepflegte Garten bildete einen krassen Gegensatz zu dem schreienden und heulenden Grauen, an dem wir vorbeigekommen waren. Ich lehnte mich an den Torbogen und drückte die Hand auf die Brust, bis mein Atem wieder ruhiger ging und der Brechreiz verschwand.
Ryko, der neben mir stand, erstarrte plötzlich. »Nein«, keuchte er.
Ich folgte seinem Blick. Der Garten war nicht leer. Auf dem hinteren Kiesweg lag ein Körper – ein Körper in Frauenkleidern. Lady Dela? Ich klammerte mich an den Torbogen, denn dieser schreckliche Gedanke zog mir die Beine weg.
Ryko rannte zu der dunklen Gestalt, ohne an Deckung zu denken. Als ich ihn erreichte, lag er schwer atmend auf den Knien. Ich sank neben ihm nieder und befürchtete schon, in Lady Delas totes Antlitz sehen zu müssen.
Das Gesicht war wohlgenährt, oval und jung – also war es nicht Lady Dela. Ryko lächelte mir zu und keuchte dabei vor Erleichterung. Ich konnte nicht umhin zurückzulächeln. Man möge uns diese herzlose Freude vergeben!
Ryko strich sanft über das Gesicht der Zofe und schloss ihr die Augen. Dann sahen wir zu den still daliegenden Gemächern hinüber. Die Lampen brannten, aber es rührte sich nichts. War Lady Dela dort drin?
»Ich muss nachsehen«, sagte Ryko grob. Er ließ den Blick über den Garten schweifen und wies auf die kunstvoll gestutzten Bäume neben dem Teich. »Ihr sucht dort Deckung und wartet auf mein Zeichen.«
Ich berührte ihn am Arm. »Nein, ich komme mit.«
»Seid kein Narr. Ihr dürft nicht gefährdet werden.«
»Aber wenn sie –«
Er sah mich von der Seite an. »Glaubt Ihr, ich sei zu weich, um meine Pflicht zu tun?«
»Das habe ich nicht gemeint.«
Er seufzte. »Entschuldigt. Ich weiß, was Ihr gemeint habt. Es war ein freundlicher Gedanke, aber Ihr müsst hier zurückbleiben.«
Das gefiel mir nicht, doch ich gehorchte. Die Schiebetüren des Empfangszimmers standen weit offen. Selbst von meinem Versteck hinter den Bäumen aus war es offensichtlich, dass Sethons Männer die Gemächer geplündert hatten. Der niedrige Tisch lag umgestürzt da und Meister Quidans herrliche Drachenzeichnung war aus ihrer Nische gerissen worden. Ich sah zu, wie Ryko sich vorsichtig ins Zimmer schob. Er hielt einen Moment lang inne, musterte das Durcheinander und verschwand dann aus meinem Blick. Ich drehte den Saum meiner Geschichtenrobe zu einem engen Knäuel zusammen und kämpfte gegen den Drang an, ihm nachzulaufen. Schließlich erschien er wieder an der Tür und winkte mich heran.
»Sie ist nicht da«, sagte er, als ich zu ihm ins verwüstete Empfangszimmer trat. »Die Gemächer sind leer. Entweder hat Sethon sie verschleppt oder sie hat sich irgendwo versteckt und wartet auf uns.«
In sein Gesicht stand die gleiche Mischung aus Erleichterung und Sorge geschrieben, die auch ich fühlte.
»Ich kenne Lady Dela nicht so gut wie du, Ryko«, sagte ich. »Aber ich bin überzeugt, sie hat uns eine Nachricht hinterlassen, falls sie die Gelegenheit dazu hatte.«
Die Zuneigung, die er für sie empfand, ließ seine Züge für einen Moment weich werden. »Und selbst wenn sie in Gefahr schwebte, hätte sie es dennoch genossen, sie möglichst raffiniert zu verstecken.«
Ich hob Quidans zerrissenes Meisterwerk auf und legte es vorsichtig auf die Kommode. »Hoffentlich ist ihre Nachricht nicht Opfer dieser Zerstörungswut geworden.«
»An ihrer Stelle hätte ich die Botschaft an einem Ort hinterlassen, an den Ihr zurückkehrt«, überlegte Ryko und schritt durchs Zimmer. »Vielleicht in der Nähe von etwas, das Euch wichtig ist.«
»Hier gibt es nur zwei Dinge, die mir etwas bedeuten«, sagte ich, »und zwar die Totentafeln meiner Vorfahren. Sie sind in meinem Schlafzimmer.«
Ich führte Ryko durch meine
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