Drachentochter
regnen. Idos Zugriff auf meinen Verstand wurde schwächer, als die Anstrengung, seinen Drachen zu leiten, zu viel wurde.
Das war meine Chance. Ich konzentrierte mich noch stärker auf mein Hua, tauchte in die gelbe Energie meines dritten Punktes und suchte verzweifelt nach dem seltsamen Schimmern, das mich einst vor dem überwältigenden Blau bewahrt hatte. Es war da, wenn auch nur winzig, doch es war inzwischen heller und glühte golden. Ich ergriff es, sog seine Kraft auf, schleuderte sie aus mir heraus und betete, dass sie ihr Ziel finden würde.
Die Befreiung kam unvermittelt: Die Energiewelt verschwand blitzschnell; nur das Chaos des Haremsgartens und ein Schmerz, der mir durch Mark und Bein ging, blieben zurück. Ich brach in Rykos Armen zusammen; sein warmer, fester Körper war mein Anker in einem Meer aus Schmerzen.
Er sah weinend zu mir herunter. »Der Prinz ist tot.«
Das wusste ich bereits, doch seine Bestätigung war wie ei ne frische Wunde. »Und Lady Jila?«, keuchte ich.
Er schüttelte den Kopf. »Die auch.«
»Ido kommt«, krächzte eine Stimme. »Verschwindet!«
Ryko fuhr herum. Hinter ihm stand Lady Dela und verfolg te mit den Augen eine Bewegung in der drängelnden Menge. Unterhalb der Pagode hatten die Gardisten des Kaisers ihre Ketten als Waffen eingesetzt und sich aus der Gewalt ihrer Wächter befreien können. Nun erzeugten sie Aufruhr und hinderten Sethon am Verlassen der Pagode. Ich folgte Lady Delas Blick nach rechts und wurde auf eine Gruppe von Män nern aufmerksam, die sich zielstrebig von der Pagode entfern te. Es handelte sich um einen groß gewachsenen Mann im blaugoldenen Gewand des Herrschenden Drachenauges, den vier Wächter vorn, hinten und auf beiden Seiten von der Menge abschirmten.
Lord Ido.
Der Boden schien nachzugeben, und die Welt drohte, in einem Strudel der Angst unterzugehen.
»Verschwindet!«, schrie Lady Dela.
Sie hatte sich schon zum Torbogen durchgeschlagen, ehe Ryko mich dorthin zu zerren begann. Ringsum trieben Offiziere ihre Soldaten mit gebrüllten Befehlen und Schlägen mit dem Schwertgriff in Reih und Glied zurück. Rund um den Eingang drängten sich völlig verängstigte Männer, die teils aus dem Garten strebten, teils in ihn zurückgetrieben wurden. Ein rotgesichtiger Feldwebel trat uns entgegen und hielt unse re Flucht mit ausgebreiteten Armen auf.
»Zurück!«, schrie er über die Flüche und den Tumult hinweg.
»Wir haben Befehl, sie aus dem Garten zu bringen!«, schrie Ryko zurück, packte mich fester und wies mit dem Kopf zur Pagode.
Der Mann kniff die Augen zusammen. »Wessen Befehl?« Er hob sein Schwert. »Zu welchem Regiment gehört ihr?«
An der Art, wie Ryko die Muskeln anspannte, merkte ich, dass er sich auf einen Kampf gefasst machte, doch das schmaläugige Misstrauen des Feldwebels wich unvermittelt großäugigem Erschrecken, als ein anderer Soldat gegen ihn prallte. Ich hörte den Feldwebel gurgelnd Luft holen, während Lady Dela ihn mit vor Anstrengung bleichem Gesicht herumriss und gegen die Mauer schob. Erneut drückte sie sich gegen ihn. Dabei hielt sie das Heft eines blutüberströmten Messers in der Hand.
»Verschwindet endlich«, presste sie hervor und hielt den Sterbenden dabei mit der gesunden Schulter aufrecht. »Ich komme sofort nach.«
»Schlagt Euch zum Gitter durch«, sagte Ryko, griff meine Hand und zog mich durchs Tor auf den Platz hinaus.
Ich sah mich um. Ido war schon ein gutes Stück von der Pagode entfernt, denn seine Männer bahnten sich rasch einen Weg durch die ziellos umherirrenden Soldaten. Ryko zerrte mich am Arm und ich rannte los. Wir stürmten an den überraschten Wachtposten vorbei und schlossen uns dem Auszug der Soldaten aus dem Garten an. Ich fasste die dunkle Gasse auf der anderen Seite des Platzes ins Auge – unseren Fluchtweg. Das Atmen fiel mir schwer. Ich zwang mich zum Weiterlaufen und blickte erneut kurz zurück. Lady Dela hatte sich durch den Torbogen gedrängt und folgte uns in stolperndem Trab. Sie schwankte und krümmte sich und war offensichtlich am Ende ihrer Kräfte.
Ich zog an Rykos Hand. »Lady Dela – sie wird es nicht schaffen.«
Einen Moment lang dachte ich, er würde nicht stehen bleiben. Dann wurde er langsamer, zwang mich zu einem plötzlichen keuchenden Halt, ließ mich los, riss das linke Schwert aus der Scheide und drückte es mir in die Hand. Kaum berührte ich den Griff aus Mondstein, durchzuckte mich die Flamme eines alten Zorns.
»Öffnet das Gitter und
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