Drachentochter
rangen, und schluchzend am Boden kniende Konkubinen. Dann schloss sich das Loch in der Menge so unverhofft wieder, wie es sich aufgetan hatte.
Atemlose Spannung hatte die Menge ergriffen und in den Mienen ringsum stand wilde Erwartung. Endlich gab eine neue Lücke den Blick auf die Pagode wieder frei. Lady Jila lag auf den Knien und hielt ihr Kind in den Armen. Sethon stand über den beiden.
Auf sein lässiges Fingerschnippen hin griff ein Soldat nach dem Säugling. Ein weiteres Schnippen ließ eine einsame Trommel einen langsamen Takt schlagen. Lady Jila schrie und rang um ihren Sohn. Sethon trat näher und versetzte ihr mit der behandschuhten Rechten einen brutalen Schlag. Lady Jilas Kopf zuckte zurück und Blut rann ihr übers Gesicht, doch sie ließ ihr Kind nicht los. Erneut ging Sethons Faust auf sie nieder. Sie stürzte zu Boden und der Soldat zerrte ihr das Kleinkind aus den verzweifelten Armen. Ich spürte Rykos Herz gegen meinen Rücken klopfen. Jede seiner Sehnen spannte sich gegen den Drang, ihnen zu Hilfe zu eilen.
»Das dürfen wir nicht geschehen lassen«, krächzte ich.
»Wir sind zu spät gekommen«, flüsterte er. »Zu spät.«
Lady Dela war noch immer über das Buch gebeugt. Ich hörte nur den Trommelschlag und das schluchzende Flehen von Lady Jila. Ich musste etwas unternehmen. Ich musste Sethon aufhalten. Ihn aufhalten.
Ich berührte die Totentafeln an meiner Brust. Beschützt mich vor Ido, betete ich, kniff die Augen zusammen und stürzte mich in die Energiewelt wie ein Pfeil, der direkt ins Herz des Rattendrachen zielt.
Blaue Energie durchzuckte mich und verzerrte meine Wahrnehmung, bis die Menschenmenge und die Gebäude zu silbern wirbelndem Hua wurden. Ich spürte Ryko nicht mehr hinter mir und hatte das Gefühl, im Wasser zu treiben. Mein inneres Auge bekam zunächst nicht einmal Schemen zu sehen, doch dann tauchten Umrisse auf.
Groß wie seine Halle schwebte der Rattendrache über dem Gartenplatz. Außer ihm war kein anderer Drache zu sehen. Eine schlimme Ahnung erfasste mich: Da alle anderen Drachen verschwunden waren, mussten ihre Drachenaugen tot sein.
Zwei tödlich schimmernde Klauen fuhren durch die Luft und ein furchtbares Kreischen fuhr durch meinen Kopf wie eine Klinge.
Die schillernde blaue Perle unter seinem Maul pulsierte, er sah mir mit seinem gewaltigen Geisterblick in die Augen und ich erkannte die grenzenlose Macht des Todes, der Zerstörung und des Gan. Unter ihm stand Sethon und hatte sein Schwert auf das Kleinkind gerichtet, das hilflos in den Händen des Soldaten baumelte.
»Nein!«, schrie ich und öffnete mich der furchterregenden Macht des Drachen. Sie traf mich mit der Wucht von tausend Fäusten: ein unkontrollierbarer Strom aus blauer Energie, in der uralte Vernichtung tobte.
Die Trommel hörte auf zu schlagen.
Töte ihn. Töte Sethon, befahl ich, und hinter meinen kläglichen Worten stand die Lebenskraft der Erde, die in einen Sog der Zerstörung geraten war. Von ferne hörte ich das Jammern des Kindes urplötzlich verstummen. Zu spät. Über der Pagode warf der Drache heulend den riesigen gehörnten Kopf zurück. Der qualvolle Aufschrei einer Frau mischte sich mit der schrecklichen Totenklage. Doch selbst dies ging im Durcheinander der vielen Schreie unter, als eine Säule aus blauer Energie aus dem Drachenmaul mitten auf die Pagode und auf Sethons strahlende Gestalt niederfuhr.
Aufhören!
Dieser Befehl schoss mir donnernd durch den Sinn.
Ido.
Er war in meinem Kopf, und der Griff seines Willens schloss sich wie ein Schraubstock um meinen. Einen Moment lang sah ich mich mit seinen Augen, sah, dass ich noch immer an Ryko gedrückt war und der Kampf um die Macht mich zittern ließ und dass nur die unerschütterliche Unterstützung des Insulaners mich aufrecht hielt. Ringsum duckten sich Soldaten in panischem Nichtverstehen nieder und beobachteten den tödlichen Energie-Strahl. Der Drache schrie und seine Kraft zersprang in tausend Stücke. Ich spürte Idos bittere Wut, als er mich und das Tier seinem Willen unterwerfen wollte, aber feststellen musste, dass wir beide uns seinem unerbittlichen Herrschaftsanspruch widersetzten.
Noch nicht, keuchte seine Stimme in meinem Kopf.
Ich spürte, wie er die blaue Energie von Sethon abzog, und seine Anstrengung ließ mich seine Qualen wie aus zweiter Hand fühlen. Die abgelenkte Energie schlug in den Säulenvorbau am anderen Ende des Gartens ein und ließ Marmor durch die Luft splittern und auf die Soldaten
Weitere Kostenlose Bücher