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Drachentochter

Drachentochter

Titel: Drachentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Goodman
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was für dich«, sagte ich, zog die Rolle hervor und legte sie vor ihn hin.
    Er berührte sie mit großen Augen. »Echtes Papier?« Er sah mich zweifelnd an. »Du weißt doch … ich kann nicht lesen.«
    »Es sind keine Worte«, sagte ich. »Mach auf.«
    Er stemmte sich auf einen Ellbogen und zog die Holzstö cke langsam auseinander. Ich sah, wie sich sein Erstaunen in Verständnis verwandelte. Dann verhärtete sich seine Miene.
    »Ich weiß, die Zeichnung ist nicht besonders«, sagte ich rasch. »Aber schau, das ist die Kreuzung am Ende der Gasse«, fuhr ich fort und tippte auf die Rolle. »Und das ist das Schwein vom alten Rehon. Ich hab es gemalt, wie es gerade mitten im Gemüsegarten von Kellon dem Geldverleiher steht …« Ich verstummte. Chart hatte sein Gesicht abgewandt.
    »Ich weiß, die Zeichnung ist nicht besonders«, wiederholte ich.
    Chart schüttelte den Kopf. Dann drückte er das Gesicht an seine Schulter.
    Weinte er? Ich richtete mich auf. Chart weinte nicht.
    Er umklammerte unbeholfen meine Hand und holte tief und zitternd Luft.
    »Ich hab … auch was … für dich«, sagte er und warf einen raschen Blick auf die Tür, hinter der der Koch verschwunden war. »Schnell … bevor Kuno zurückkommt.«
    Ich streckte die Hand aus und erwartete ein weiteres Stück Brot oder Käse. Stattdessen landete etwas Schweres in meiner Handfläche. Ein dreckverkrustetes Geldstück. Ich strich mit dem Daumen darüber und sah es golden blitzen: eine Tigermünze – also mehr als das, was ein freier Mann in drei Monaten verdiente. Wenn das herauskäme, würde Chart furchtbare Prügel ernten.
    »Woher hast du die?«, flüsterte ich.
    »Ich hocke nicht immer … auf dieser Matte«, sagte er und lächelte verschmitzt.
    »Hast du sie dem Meister gestohlen?«
    Er schob sich näher an mich heran und wischte meine Fra ge mit einer Handbewegung beiseite.
    »Gestern Abend hab ich … Kuno und Irsa … reden hören«, flüsterte er, Schultern und Kehle verkrampft von der Anstrengung, leise zu sprechen. Ich senkte den Kopf, bis ich seinen warmen Atem am Ohr spürte. »Der Meister … verkauft dich … an die Saline … wenn du kein Drachenauge wirst … so hat er es auch … mit den Jungen vor dir getan.« Ich zuckte zurück, doch Chart reckte sich mir entgegen und verzog dabei schmerzhaft das Gesicht. »Wenn du nicht erwählt wirst … musst du fliehen … auf die Inseln.« Keuchend ließ er sich zurück auf seine Matte fallen.
    Fliehen? Aber ich war gebunden – ich hatte stets einem Meister gehört. Ich umklammerte die Münze fester. Das war nicht ganz richtig: Es hatte mal eine Zeit gegeben, in der ich eine Familie und keinen Meister gehabt hatte.
    »Und was wird aus dir?«, fragte ich.
    »Soll ich weglaufen?« Chart schnaubte höhnisch.
    Ich hielt ihm die Münze hin. »Du solltest sie behalten. Ril la und du, ihr könntet sie brauchen.«
    Chart ergriff meine Hand. Seine Nackenmuskeln traten zu ckend hervor, während er darum rang, den Kopf ruhig zu halten. »Meine Mutter weiß Bescheid … sie hat gesagt … ich soll sie dir geben.«
    Ich starrte ihn an. Also war auch Rilla der Ansicht, ich soll te davonlaufen?
    »Bist du immer noch da?«, fragte Kuno und wuchtete einen Sack Bohnen auf den Tisch. Chart und ich schraken auseinander. »Du solltest dich besser aufmachen, um den Meister nicht warten zu lassen.«
    Chart schloss meine Finger um die Münze. »Leb wohl, Eon … mögen deine Wege … glücklich sein.«
    Ich stand auf und verneigte mich tief, die Verbeugung für einen hoch geschätzten Freund. Als ich mich aufrichtete, wandte er das Gesicht ab. Sein schmales Gesicht war angespannt.
    »Danke«, flüsterte ich.
    Er blickte nicht auf, doch ich sah, dass er die Rolle, die ich ihm geschenkt hatte, fester an die Brust drückte.
    Draußen blieb ich einen Moment lang im Halbdunkel stehen, um mich zu beruhigen. Durfte ich wirklich fliehen, wenn ich nicht erwählt werden sollte? Ich hätte nach meinen Eltern suchen können, aber sie hatten mich verkauft und ich wäre dann ein Ausreißer. Sie würden mich wahrscheinlich nicht wieder in die Familie aufnehmen.
    In wenigen Minuten würde die Sonne aufgehen. Ich musste noch meine paar Habseligkeiten zusammenpacken. Und die Münze verbergen, die warm und schwer in meiner Hand pulsierte. Wo wäre das Geldstück sicher? Ich schlüpfte wieder in die Lederschuhe und lief über den Hof. Vielleicht in der Kis te, in der ich Tusche und Pinsel aufbewahrte? Ich blieb auf der Schwelle stehen,

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