Drachentochter
Lächeln mach te mir Mut.
Ich verbeugte mich vor meinem Meister. Er trug seine Hofrobe, ein langes mitternachtsblaues Gewand mit Silbersticke reien, das mit einer roten, aufwendig gefältelten Seidenschär pe gegürtet war. Sein bleiches Gesicht saß über einem hochgeschlossenen Kragen, dessen eleganter Schwung seine hageren Wangen noch stärker betonte. Er sah alt und krank aus.
»Dreh dich«, sagte er und gab mir mit einem eleganten Schwarzholzstab die Richtung vor.
Ich gehorchte und das Wirbeln des Gewands ließ die Mün ze von hinten an meinen Oberschenkel schlagen. Ich musste mich sehr beherrschen, um nicht nach unten zu schauen und zu überprüfen, ob die Naht hielt.
»Gut«, sagte er und wandte sich an Rilla. »Meine Kappe?«
Sie setzte ihm behutsam die rote Scheitelkappe auf den rasierten Kopf. Er ließ den Blick durch den stillen Vorhof schweifen, stützte sich auf Rillas ausgestreckten Arm und stieg in die Sänfte.
»Der Tribut?«, fragte er, als er sich auf dem mit Seidenkissen gepolsterten Sitz niederließ.
Rilla reichte ihm eine kleine Holzschatulle, die auf Hochglanz poliert und mit Einlegearbeiten aus Perlmutt verziert war. Er stellte sie auf den Knien ab und winkte mich heran.
Vorsichtig stieg ich in die Sänfte und glättete das Gewand, ehe ich mich neben ihn auf die Kissen setzte. Die Korbwände erschienen mir alles andere als stabil. Ich drückte gegen das Geflecht neben mir und es knackte heftig.
Mein Meister musterte mich kurz unter schweren Lidern. »Ich kann dich beruhigen, Eon – es ist sicher.«
»Ja, Meister.«
Er tippte mit seinem Stab auf die Schulter des Trägers vor ihm. »Los geht’s«, befahl er.
Alle vier Männer bückten sich gleichzeitig – zwei vorne, zwei hinten – und hoben die Sänfte. Ich stemmte die Füße auf den Holzboden und hielt mich am Pfosten des Baldachins fest, als sie uns auf ihre Schultern hievten. Wie hoch wir plötzlich waren! Rilla sah zu mir herauf und rief mir lautlos »Viel Glück!« zu. Ich versuchte zu lächeln, doch der Boden war zu weit entfernt und die seltsame ruckelnde Art der Fortbewegung machte mich benommen. Ich schloss die Augen. Als ich sie wieder öffnete, waren wir schon an den Steinlöwen des Vordertors.
Ich schaute zurück. Allein Rilla stand noch mit erhobener Hand im Hof, doch ehe ich ihr winken konnte, bogen wir in eine Seitenstraße und sie verschwand aus meinem Blick. Wusste sie, dass ich sie vermissen würde?
Ich sah wieder geradeaus und beobachtete die beiden vorderen Träger argwöhnisch. Sie schienen ihr Gewerbe zu beherrschen; vielleicht würden wir also nicht zu Tode stürzen. Mein Meister beugte sich zu mir herunter.
»Hat der Tee geholfen?«, fragte er leise.
»Ja, Meister.«
Er ächzte zufrieden. »Und die Übergänge hast du verbessert?«
Ich nickte.
Er starrte nach vorn. Die Haut um seine Augen war vor Anspannung ganz glatt. »Der Drachenrat hat widerwillig zugestimmt, den Umgekehrten Zweiten Pferdedrachen als Variante zum Dritten Spiegeldrachen zuzulassen«, sagte er. »Das haben sie nur getan, weil sie dich nicht für einen aussichtsreichen Anwärter halten. Vor allem Ido war sehr herablassend.«
In der Stimme meines Meisters schwang Abscheu mit. Er misstraute dem amtierenden Rattendrachenauge schon lange. Aufgrund des plötzlichen Todes seines Meisters war Lord Ido früh zum vollwertigen Drachenauge aufgestiegen; nach Ansicht einiger zu früh. Am heutigen Tage, an dem das Jahr der Ratte begann, würde Ido nun Herrschendes Drachenauge werden. Für ein Jahr würde er doppelte Macht haben und den Drachenrat bei der Aufgäbe leiten, die Erdenergien zum Woh le des Reichs zu manipulieren. Er hatte es meinem Meister si cher nicht leicht gemacht, mein Anliegen zu vertreten.
»Wenn du gewählt bist, nimm dich gut vor Lord Ido in Acht.«
»Ja, Meister«, sagte ich und bat die Götter im Stillen um Vergebung für seine Überheblichkeit.
Er rieb sich die Augen. »Ido wird dich schon deshalb schikanieren, weil du mein Anwärter bist. Du musst ihn natürlich aufsuchen, um dich in den Drachenkünsten zu üben, doch meide ihn sonst, wann immer du kannst. Er ist …« – mein Meister hielt inne und suchte nach den richtigen Worten – »… heimtückisch und unberechenbar. Du wirst auch viel Zeit mit Meister Tellon verbringen, um die Staminata zu erlernen. Er ist ein anständiger Mann, aber pass auf, denn er ist ein scharfer Beobachter.«
»Die Staminata?«
Ein Lächeln huschte über die blutleeren Lippen meines
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