Drachentochter
Meisters. »Der Drachenrat würde mir den Rang eines Heuris aberkennen, wenn er wüsste, dass ich mit dir über die Staminata gesprochen habe.« Er sah mich von der Seite an. »Obwohl diese Verfehlung nichts ist im Vergleich zu dem, was ich sonst noch getan habe.« Er beugte sich noch weiter zu mir vor. »Die Staminata sind die geistigen und körperlichen Übungen, die man beherrschen muss, um ein vollwertiges Drachenauge zu werden. Sie sollen dem Lehrling helfen, den Energieverlust zu ertragen, der nötig ist, um sich mit seinem Drachen zu vereinen.«
»Ist sie schwierig, Meister, die Vereinigung?«, fragte ich, denn ich spürte, dass er ausnahmsweise mitteilsam war.
Er blickte auf die Schatulle in seinem Schoß. »Schwierig?« Er schenkte mir ein humorloses Lächeln. »Ist es schwierig, die Lebenskraft des Landes dem eigenen Geheiß zu unterwerfen? Energetische Blockaden beiseitezuräumen, die aus uralten Ängsten und engstirnigem Denken herrühren? Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu entwirren und sie neu zusammenzufügen?« Er seufzte. »Ja, Eon, das ist schwierig und qualvoll, aber auch berauschend. Und es wird dich umbringen.« Er sah mich mit schwermütigem Blick an. »So, wie es mich getötet hat.«
Das klang wie eine Herausforderung, doch ich wich seinem leeren Blick nicht aus.
»Besser so sterben«, stieß ich hervor und klammerte mich fester an den Pfosten des Baldachins, »als sich in einer Saline zu Tode zu schuften.«
Er ging über meine leidenschaftliche Reaktion hinweg. »Es gibt schlimmere Todesarten, als an Salz zu ersticken«, sagte er leise.
Dann musste ich wegsehen, denn seine Augen begannen, seltsam zu schwimmen.
»Und die Staminata, Meister?«, fragte ich rasch. »Werde ich sie ausführen können?«
»Sie sind nicht wie die Angriffssequenz«, erwiderte er. »Es wird keinen Schwertmeister geben, der dich endlos drillt. Bei den Staminata kommt es nicht auf blanke Kraft oder Wendigkeit an – sie sind eine Mischung aus Meditation und Bewegung. Wenn du die Grundformen erlernt hast, liegt es an dir, deine Meisterschaft zu entwickeln und so deine körperliche und geistige Ausdauer zu vergrößern.«
»Wie Ihr es im Mondgarten tut, nicht wahr?«, fragte ich.
Er neigte den Kopf zur Seite. »Wie kommst du darauf, Eon?«
Ich schüttelte den Kopf, denn ich wollte ihm nicht mit der Wahrheit antworten. Und mein Meister hätte sicher nicht hören wollen, dass mein Wissen auf Intuition beruhte, auf jenem »irrationalen« Erkennen also, das nur Frauen für sich in Anspruch nahmen.
»Ja, das trainiere ich im Mondgarten«, sagte er. »Auch wenn es mir nichts nutzt.« Er sah mit einem bitteren Lächeln in die Ferne. »Bis vor Kurzem habe ich meine Berufung nie bereut. Inzwischen aber stelle ich fest, dass es mich ärgert, keine Zukunft zu haben.« Als er sich mir wieder zuwandte, sah ich das wilde Leuchten in seinen Augen, das ich schon während des Reinigungsrituals bemerkt hatte. Er streckte die Hand aus, als wollte er mir über die Wange streichen. Ich zuckte zurück, und er ließ den Arm sinken, während sein Gesicht sich wieder in eine Maske kühler Ironie verwandelte.
»Dieser Handel wurde vor langer Zeit abgeschlossen«, sag te er mehr zu sich selbst.
Ich lehnte mich nach hinten und fühlte mit der Hand nach der Münze. Würde sie reichen, um mir den Weg zu den Inseln zu erkaufen? Obwohl mein Meister sich in seine Ecke der Sänfte zurückgezogen hatte, spürte ich seinen forschenden Blick immer noch auf mir ruhen. Ich sah nach draußen und tat so, als wäre ich von den wechselnden Bildern völlig fasziniert. Wir waren in die Hauptdurchgangsstraße eingebogen, die zur Drachenarena führte. Die Sonne war gerade erst aufgegangen, doch längs der Straße drängelten sich schon die Schaulustigen, die Läden in den Häusern hatten geöffnet, und die Verkäufer boten ihre Waren feil. Ein Mann bemerkte unsere Sänfte, und sein Rufen schallte die Straße hinunter, bis wir im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit standen. Aufgeregte, skeptische oder verächtliche Gesichter blickten auf, um uns vorbeiziehen zu sehen. Dann erhob sich ein Gemurmel, und die leisen Worte liefen durch die Menge wie Wind durch Blätter geht: Es ist der Krüppel.
Ich richtete mich mit geballten Fäusten in meinem Sitz auf und blickte starr auf die Fahnen, die sich über dem Eingang der Arena blähten. Ab und an nahm ich aus den Augenwinkeln die mir so vertraute Geste zur Abwehr des Bösen wahr.
»Tut dein Bein weh?«, wollte
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