Drachentochter
Contraire ist ein Mann, der als Frau lebt.«
Ich strich mir die nassen Haare aus den Augen. »Lady Dela ist ein Mann?«
»Körperlich ja. Ihre Zofe hat es mir bestätigt.« Rilla lehnte sich auf die Fersen zurück. »Aber sie hat den Geist einer Frau. Laut Überlieferung der Östlichen Stämme hat ein Contraire eine männliche und eine weibliche Seele. Lady Dela besitzt Sonnen- und Mondenergie zugleich. Einen Contraire im Stamm zu haben, bringt Glück.«
»Also wird sie von den Leuten geachtet?«
Rilla schnaubte. »Bei den Östlichen Stämmen. Hier dagegen wird sie nur geduldet, weil der Kaiser daran Vergnügen findet. Doch einige flüstern, sie sei ein Dämon und verfüge über seherische Gaben. Vor einiger Zeit wurde sie sogar überfallen. Deshalb hat sie einen Wächter.«
»Hat man herausgefunden, wer es war?«
»Nein, sie suchen noch. Die Östlichen Lords haben Lady Dela Seiner Hoheit als Zeichen ihrer Wertschätzung geschickt. Es ist ihm sehr unangenehm, dass ihr Geschenk Schaden genommen hat.«
»Geht es auch andersherum? Kann eine Frau den Geist ei nes Mannes haben?«
Rilla schüttete mir Wasser über den Rücken. »Denkst du dabei an dich?«, fragte sie leise. »Aber du hast doch keinen männlichen Geist. Das ist doch alles bloß Theater, oder?«
Ich zuckte die Achseln und beugte mich vor, als sie mir den Rücken wusch. Wie konnte ich ihr erklären, dass ich nicht bloß schauspielerte? Dass ich mehr männlichen als weiblichen Geist in mir spürte? Eine Wildheit, die mich zu einem scharfen Speer des Ehrgeizes formte? Und als Junge wurde ich für dieses Ungestüm gelobt, nicht bestraft. Es wurde mir nicht zu meinem angeblichen Besten aus dem Leib geprügelt oder durch ständige Hausarbeit langsam ausgetrieben.
»Ich weiß nicht recht, was ich bin«, erwiderte ich langsam. »Vielleicht weiß ich einfach nicht mehr, wie man sich als Mädchen verhält.«
»Und das ist vermutlich gut so«, sagte Rilla. »Jedenfalls ist es für uns alle sicherer.« Sie gab mir das Tuch. »Ich nehme an, vorn herum willst du dich selbst waschen.«
Ich rieb mir über Brust und Bauch und schob das Tuch rasch zwischen die Beine, als sie sich abwandte, um einen Eimer Wasser auszugießen.
»Jetzt lass dich etwas einweichen«, sagte sie. »Ich lege derweil dein Gewand heraus und komme dann zurück, um dich abzutrocknen.«
Sie tätschelte mir die Schulter, eilte aus dem Bad und schloss die Tür mit einem vernehmlichen Klicken.
Ich breitete das Lendentuch über den Hocker und ging zum Becken, an dessen Boden ein Mosaik des Kreises der Neun Fische, des Symbols für Reichtum, waberte. Ich bückte mich und hielt die Finger ins Wasser. Es war sehr warm, fast heiß – eine gute Temperatur, um den zwar nicht starken, aber nagenden Schmerz in meiner Hüfte zu lindern. Ich richtete mich auf und wollte zu den flachen Stufen gehen, die ins Wasser führten, doch eine Bewegung im Spiegel lenkte mich ab. Das war nur ich selbst. Nackt.
Wie knochig und bleich ich war! Ich strich mir über den Oberkörper und spürte meine kleinen, weichen Brüste und die Wellen der Rippen. Ich hatte keine breiten Hüften wie Irsa und auch keinen dicken Hintern, doch meine weiblichen Kurven waren unübersehbar. Zum Glück würden die üppigen Gewänder und weiten Hosen der höfischen Tracht meine Formen verbergen. Ich strich über die Narbe am Oberschenkel. Ein Karren hatte mich einst angefahren und mitgeschleift. Das hatte mein Meister mir erzählt, doch ich konnte mich an den Unfall nicht erinnern – nur an den dunklen Umriss eines Mannes, der sich über mich gebeugt und eine Tätowierung im Gesicht gehabt hatte; vielleicht war es der Fahrer gewesen, vielleicht ein Schaulustiger. Schon der Gedanke an den Unfall ließ den Schmerz in der Hüfte stärker werden. Ich blickte erneut in den Spiegel. Die Narbe war kleiner, als ich gedacht hatte – und mein Bein auch nicht so verdreht.
Ich ging näher heran. Mein Gegenüber runzelte die Stirn. Etwas an meinem Gesicht war anders, seit ich es im Spiegel des Rattendrachen gesehen hatte. Es war weniger weich, dafür knochiger. Ich berührte meine Wangen und spürte die schärfe ren Züge des Erwachsenenalters. Meine Augen wirkten grö ßer, die Lippen voller. Mein Gesicht war nun eher weiblich als männlich. Ich strich das nasse Haar zurück und raffte es am Oberkopf zusammen, bis es vage Ähnlichkeit mit der Frisur der Drachenaugen hatte. Ein Junge in den Gewändern und der Haartracht eines Mannes – mögen die
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