Drachentochter
weiße Unterhose heraus und gab sie mir. »Hier, zieh die an«, sagte sie und zog einen aufgerollten Stoffstreifen aus der Tasche. »Ich hab zusätzliche Brustbänder dabei. Aber die bewahre ich besser bei meinen Sachen auf. Sicher ist sicher.«
Ich nickte, schlüpfte in die kurze dünne Leinenhose und zog das Seidenband zu. »So einen herrlichen Stoff an Unterwäsche zu verschwenden«, murmelte ich und befühlte das edle Gewebe mit den Fingerspitzen.
»Du hättest die Seide sehen sollen, die für die Hofdamen bereitliegt. Solch herrliche Stickereien habe ich nie zuvor gesehen.« Rilla trat hinter mich. »Heb die Arme.«
Sie schlang mir das Stoffband fest um den Leib, bis meine Brüste so flach an den Rippen anlagen, dass keine Kurven mehr zu sehen waren. Ich zuckte zusammen, als sie bei der letzten Lage besonders fest anzog und den Streifen unter der Achselhöhle festband. Es war wirklich zu dumm, dass ich meine weiblichen Formen nicht loswerden konnte, obwohl sie mir nur Schmerzen und Gefahren brachten.
»Ist das fest genug?«, fragte Rilla.
Ich strich über den unerbittlichen Verband, holte Luft und fühlte die vertraute Beengung in der Brust. »Es ist gut.«
Die Hofgewänder anzulegen, war eine langwierige Sache. Als Rilla mir das ärmellose seidene Untergewand zurechtgezupft, die passende smaragdgrüne Hose befestigt, meine Schuhe geschnürt und die erlesene Schärpe angelegt hatte, die die Harmonierobe erst komplett machte, schmerzten mir Rü cken und Hüfte vom langen Stillstehen.
»Na also«, sagte sie schließlich und zog den Saum gerade.
»Lass mich mal sehen.«
Ich ging langsam zum Spiegel. Das ungewohnte Gewicht der vielen Stofflagen zog mich nach unten. Ein ernster Junge sah mir entgegen, dessen zarte Züge und schlanke Gestalt von der Pracht seiner Kleidung geradezu erdrückt wurden.
»Wenn ich Glück habe, achten sie nur auf das Gewand und nicht auf mich«, sagte ich und strich über die Seide.
Rilla neigte den Kopf zur Seite. »Ich glaube, du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Du hast ein energisches Kinn und bewegst dich wie ein Mann. Und das Gewand ist raffiniert gewoben und geschnitten – sieh nur, um wie viel größer und breitschultriger es dich wirken lässt!«
Das stimmte. Kein Wunder, dass die Geschichtenweber so gesucht waren und mit teuren Geschenken umworben wurden.
»Auch halten Drachenrat und Hof ja nicht misstrauisch nach einem Mädchen Ausschau«, fuhr Rilla fort. »Sie können sich eine solche Täuschung nicht mal vorstellen. Außerdem bist du ein Mondschatten – da erwartet man von dir, die Süße der Kindheit zu bewahren. Apropos …« Sie ging zum Schrank und schob die andere Tür auf. »Du musst das hier mitnehmen.«
Sie zog eine kleine rote Lackschachtel hervor, öffnete den Deckel und gab sie mir. In der Schatulle lag auf einem weichen Lederbeutel ein fingergroßer silberner Zapfen.
»Was ist das?«
»Ein Tränenhorn. Die Eunuchen nehmen es zum Wasserlassen.« Sie nickte in mein entgeistertes Gesicht. »Ich weiß. Das muss sehr schmerzhaft sein. Als Mondschatten erwartet man von dir, so ein Horn zu besitzen.« Sie nahm es, schob es in den Beutel und zog ihn zu. »Trag es immer mit dir herum. Ich glaube, die Eunuchen hängen es an ihre Schärpe.«
Ich sah auf die breite, gefältelte Schärpe um meine Taille. »Auch wenn sie eine Geschichtenrobe tragen? Das kann ich mir nicht vorstellen.«
»Ich weiß es nicht«, sagte Rilla stirnrunzelnd. »Vielleicht kann Lady Dela dich beraten. Wenn du fertig bist, bring ich dich ins Empfangszimmer und schicke nach ihr.«
Rilla führte mich aus den Privatgemächern ins förmlich wirkende Empfangszimmer im vorderen Teil. Die Außenwand bestand überwiegend aus getäfelten Schiebetüren, die den Blick auf einen der inneren Palasthöfe freigaben. Es waren allerdings nur zwei Schiebetüren geöffnet und ich sah einen Wachlöwen aus Jade auf einer flachen Terrasse stehen, die die Gemächer umgab. Jenseits der Terrasse befand sich ein nach den Grundsätzen des »Ruhigen Blicks« gestalteter Garten mit einer kleinen Brücke und knorrigen Bäumen, deren Kronen weit über einen Teich ragten. Auch ohne mein geistiges Auge einzusetzen, spürte ich, dass die beruhigende Kraft des Gartens auf raffinierte Weise in meine Gemächer gelenkt wurde.
Das Empfangszimmer war nach alter Sitte eingerichtet: Der Boden war mit Strohmatten ausgelegt und um einen niedrigen dunklen Holztisch lagen flache Kissen. In der Rückwand befanden sich zwei
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