Drachentochter
den Kopf und ihr goldener Haarschmuck klimperte. »Diese Frage ist überhaupt nicht dumm, Mylord. Als ich an den Hof kam, war ich auch ahnungslos. Ich habe viel Zeit gebraucht und jede Menge Fehler gemacht, ehe ich mich zurechtfand.« Sie beugte sich lächelnd vor und ich roch ihr süßes Jasminparfum. »Macht Euch keine Sorgen: Ich wer de Euch eine Zeit lang zu den Banketten und Zusammenkünften bei Hof begleiten und Euch die Namen der dort Versammel ten zuflüstern – gemeinsam mit ein paar Dingen, die Ihr unbedingt über den einen oder anderen wissen solltet, wenn Ihr Euch in dem Gewimmel zurechtzufinden wollt.«
Von der Tür her hörte ich Ryko leise hüsteln.
Lady Dela entfaltete den Fächer und verbarg unsere Gesichter dahinter. »Ryko findet, mein Mundwerk laufe so rasch wie die Räder einer Rikscha«, flüsterte sie laut genug, damit der Wächter es hörte.
»Nein, Mylady, ich finde, um in die Hofintrigen eingeführt zu werden, könnte Lord Eon keine bessere Lehrerin haben als Euch.«
Sie sah mich mit großen Augen an. »Jetzt hält er mich so gar für eine Intrigantin«, sagte sie mit gespielter Empörung und machte den Fächer wieder zu. »Möchtet Ihr jetzt die Ge schichte Eurer Robe hören? Ihr solltet sie kennen, ehe Ihr heu te Abend die Festhalle betretet.«
Sie nahm meine Hand und streckte sie aus, sodass der weit geschnittene Ärmel glatt herunterhing.
»Diese Robe wurde von Meister Wulan entworfen und gewoben. Die Familie von Lord Ido hat sie als Geschenk für den Kaiser in Auftrag gegeben, nachdem er zum Lehrling des Rat tendrachenauges gewählt worden war.«
Bei der Erwähnung von Lord Ido zuckte ich zusammen. Lady Dela nickte daraufhin und fuhr mit dem Finger über ein in den Ärmel gewebtes Emblem.
»Seht, dies ist das Familienwappen, und darunter befindet sich das Schriftzeichen für Ehrgeiz, jenen Bereich also, unter dessen Einfluss das Rattendrachenauge in besonderem Maße steht. Die Robe erzählt die Geschichte des freigebigen Sommers, doch wenn Ihr genauer hinschaut, werdet Ihr sehen, dass in den Wasserfall und in das prächtige Rad des Pfaus eine Andeutung des Winters eingearbeitet ist – Lin und Gan sind verbunden in …«
»Lady Dela«, unterbrach ich sie mit fester Stimme, denn es war offensichtlich, dass sie abzuschweifen begann. »Warum gibt mir der Kaiser ein Geschenk, das er von Lord Idos Fami lie erhalten hat?«
Sie warf Ryko einen raschen Blick zu.
»Erzählt ihm alles«, sagte der Wächter ungerührt. »Dies ist nicht die Zeit, um Spiele zu spielen.«
»Es ist die wichtigste Zeit«, erwiderte sie scharf.
Er starrte sie wütend an. »Nein. Selbst ein Blatt im Wind kommt einmal zur Ruhe. Ihr wusstet, dass diese Entscheidung auf Euch zukäme.«
Sie öffnete ihren Fächer, schloss ihn wieder, nestelte an den blank polierten Bambusrippen und beobachtete, wie Ryko die geöffneten Türen abging und dabei den Garten inspizierte.
»Nun?«, fragte sie.
Er nickte. »Wir sind allein. Erzählt es ihm.«
»Ist ja schon gut«, sagte sie mit erhobenen Händen. »Der Kaiser bedient sich dieser Robe, um Lord Ido und dadurch auch Großlord Sethon – seinem königlichen Bruder – eine Nachricht zukommen zu lassen.«
»Lord Ido dient Großlord Sethon«, sagte ich in Erinnerung des kurzen Gesprächs zwischen meinem Meister und dem Beamten in der Arena.
»Ja, Ihr begreift sehr rasch«, sagte sie leise. »Zusammen haben sie sich eine Machtbasis geschaffen, die größer ist als die des Kaisers. Es ist kein Geheimnis, dass Sethon nach dem Thron strebt, und nun hat er durch Ido den Drachenrat und die Armeen auf seiner Seite. Da der Kaiser krank und Prinz Kygo zwar volljährig ist, aber noch immer im Schutz des Harems lebt, stand Sethon kurz davor, nach der Regentschaft zu greifen. Doch dann seid Ihr aufgetaucht.« Sie berührte mich an der Schulter. »Der Erwecker des Spiegeldrachen. Ein Zweites Herrschendes Drachenauge. Aber, was noch wichtiger ist, ein möglicher Keil zwischen den Mitgliedern des Rates. Und der Kaiser ergreift die erste sich bietende Gelegenheit, Euch und Euren Drachen für sich zu beanspruchen.«
Das Gewicht ihrer Worte lastete auf mir. Ohne Großlord Sethon auch nur gesehen zu haben, hatte ich mir den mächtigsten Mann des Landes zum Feind gemacht. Und der Kaiser betrachtete mich als ein Mittel, die Oberhand zurückzugewinnen. Ich war der zwischen zwei heißhungrigen Wölfen gefangene Hase.
»Deshalb hat der Kaiser dafür gesorgt, dass Ihr in seiner Nähe seid;
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