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Drachentochter

Drachentochter

Titel: Drachentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Goodman
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gleiche Nischen, in denen jeweils eine farbige Zeichnung hing. An einer weiteren Wand stand eine lange, ebenfalls in dunklem Holz gehaltene Kommode mit einem einzelnen Orchideengesteck. Es war ein Ort stiller Würde. Rilla öffnete die übrigen Schiebetüren, sodass der Hof auf ganzer Breite zu sehen war.
    »Lady Dela ist bereits auf dem Weg hierher, Mylord«, sag te sie. »Soll ich Tee machen?«
    Ihre plötzliche Unterwürfigkeit erschreckte mich. »Ja. Bitte.«
    Ich ging zur linken Nische, denn die leuchtenden Farben zogen mich an. Es handelte sich um die Darstellung eines Drachen, dessen wirbelnder Schwanz mit den elegant gehobenen Vorderklauen eine angenehme Symmetrie bildete. Ich warf einen Blick auf das winzige Namensschild und erschauerte. Es handelte sich um ein Werk des großen Meisters Quidan. Ich ging zur anderen Nische, in der sich ein ebenfalls von ihm geschaffener Tiger befand.
    »Diese Zeichnungen sind sehr schön, nicht wahr, Mylord?«
    Ich drehte mich um. Lady Dela stand auf der Terrasse mit ihrem Wächter, dem Schattenmann. Nun, bei Tageslicht, fiel mir auf, dass er den Leuten von den Trang-Inseln ähnelte. Vielleicht gehörte er zu jenen, die im Zuge der kaiserlichen Strafexpedition verschnitten worden waren. Beide verneigten sich. Lady Dela sank zudem auf ein Knie und faltete die Hän de über der Hüfte, wobei sich der schwere, mit Perlen besetzte und mit Gold durchwirkte Saum ihres cremefarbenen Gewands um ihre Füße bauschte.
    »Dies, Mylord, ist die bei Hof übliche förmliche Verbeugung einer Dame von Stand gegenüber einem Lord. Als Antwort nickt der Lord.«
    Ich nickte eilends.
    »Hervorragend«, sagte sie und erhob sich anmutig.
    Obwohl jede ihrer Bewegungen weiblich war, konnte ich nun den Mann unter ihrer sorgfältig aufgetragenen Schminke und ihren prächtigen Gewändern erkennen. Und doch war sie kein Mann. Sie war Lady Dela.
    »Ryko hier ist im Dienst«, fuhr sie fort. »Deshalb verbeugt er sich nur mit dem Oberkörper und muss den Blick nicht senken. Wäre er nicht im Dienst, müsste er natürlich auf beide Knie sinken und sich mit niedergeschlagenen Augen so tief verbeugen, bis sein Kopf nur noch eine Handbreit über dem Boden ist.« Sie trat beiseite. »Führ es ihm vor, Ryko.«
    Der massige Mann machte erneut eine leichte Verbeugung.
    »Verzeiht, Mylord«, sagte er leise, »aber ich bin im Dienst und kann mich daher nicht so verbeugen, wie Mylady es wünscht.«
    Lady Dela klatschte in die Hände. »Seht Ihr! Er ist ein sehr guter Wächter. Selbst wenn ich es ihm befehle, tut er es nicht.«
    Ich sah ein Lächeln über Rykos Lippen huschen.
    »Solltet Ihr es mir in aller Form befehlen, Mylady, wäre ich in einer Zwickmühle«, sagte er.
    »Warum das?«, wollte sie wissen. Die Unterhaltung amüsierte sie, was ihren scharfen Zügen etwas Weiches gab.
    »Weil ich dann nur die Wahl hätte, entweder meine Anweisungen zu befolgen und eine Dame zu verärgern, oder ihren Wunsch zu erfüllen und meine Befehle zu missachten. Beides ist ein furchtbares Verbrechen.«
    »Ha«, sagte sie, und die schwarze Perle an ihrer Kehle zitterte. »Das furchtbare Verbrechen ist, dass du gerade versuchst, galant zu sein.«
    »Wie Ihr meint, Mylady.«
    Sie presste die Lippen zusammen, um nicht lächeln zu müssen. Dann wandte sie sich an mich und fragte: »Darf ich eintreten, Mylord?«
    »Selbstverständlich.«
    Sie schlüpfte aus ihren Pantoletten und querte das Zimmer, während der Schattenmann an der Tür Stellung bezog.
    »Lord Eon«, sagte sie und kehrte wieder zum eigentlichen Grund ihres Besuchs zurück, »alle, die von niedrigerer Stellung sind als Ihr, müssen sich vor Euch verbeugen – also jeder, der nicht zur kaiserlichen Familie gehört oder selbst Lord ist. Ihr braucht Menschen von niedrigerer Stellung nur mit einem kurzen Nicken zu grüßen. Solltet Ihr jemandem von gleicher Stellung begegnen, zum Beispiel einem anderen Drachenauge, nickt der jüngere Lord dem älteren als Erster zu. Vor dem Kaiser oder einem Mitglied seiner Familie verneigt Ihr Euch stets, indem Ihr auf die Knie fallt und den Oberkörper sichelmondförmig vorbeugt.«
    Sie hielt inne und musterte mein Gewand, wobei sich ihre schmalen Brauen hoben. »Meine Güte, ist das nicht ›Ein Sommerwasserfall bringt der Seele Harmonie‹?«
    »Es war ein Geschenk des Kaisers«, sagte ich.
    »Tatsächlich«, stellte sie fest und umkreiste mich mit nachdenklich geschürzten Lippen. »Tatsächlich. Ein sehr interessantes Geschenk.« Sie

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