Drachentochter
Während die Tänzer den Saal tief verbeugt verließen, bezogen die Diener erneut ihre Plätze und servierten stumm die ersten Süßspeisen: in Melasse schwimmendes Gebäck, kandierte Nüsse, gezuckerte Pflaumen, Honigwaben, frische Beeren, winzige Kekse und Krapfen.
»Honig!«, rief Dillon, nahm sich eine triefende Wabe direkt vom Servierteller und winkte mir damit zu. »Sieh mal, Eon! Honig.«
Es knallte, als Knochen auf Knochen traf. Dillons Kopf zuckte zurück.
»Ihr lasst Euch gehen!«, fuhr Lord Ido seinen Lehrling an und senkte den Arm, mit dem er ihm einen heftigen Hieb versetzt hatte. Eine dicke blaue Ader pochte senkrecht auf seiner Stirn.
Dillon duckte sich in seinem Stuhl. »Es tut mir leid, My lord. Es tut mir ja so leid.«
»Entschuldigt Euch nicht bei mir, sondern bei Lord Eon.«
Dillon drehte sich mühsam zu mir um und verbeugte sich tief. »Mylord, vergebt mir.«
Ich starrte auf seinen bleichen Nacken und die kleinen Ohren. Von seinem gesenkten Kopf tropfte Blut auf den Boden und mischte sich mit dem Honig, der in langen Fäden aus der Wabe floss, die er noch immer in der Hand hielt. Ich merkte, dass Lady Dela mich in den Rücken stupste.
»Ich wüsste nicht, was ich Euch vergeben sollte«, sagte ich rasch.
»Hol Lappen und wisch das weg«, befahl Lord Ido einem Diener. »Und Ihr« – er stieß Dillon den Zeigefinger in die Schulter – »sitzt ruhig und macht mir nicht noch mehr Schande.«
Er ballte mehrmals die Hand zur Faust, um den Schmerz in den Fingerknöcheln zu lindern. Ein Eunuch eilte herbei und bot ihm ein feuchtes Tuch an.
»Das ist für ihn!«, schimpfte er und schob das Tuch zu Dillon hinüber. »Gib es dem Jungen.« Er drückte die Hand an die Stirn und gab einem der Eunuchen, die für die Festetikette zuständig waren, ein Zeichen. »Ich brauche frische Luft«, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen.
Der Eunuch verneigte sich und fing an, hinter den Stühlen eine Gasse für Lord Ido zu schaffen.
Das Rattendrachenauge erhob sich, nickte mir und Lady Dela zu und verbeugte sich dann tief vor dem Kaiser. Wir sahen ihm nach, als er sich rückwärts zurückzog, ohne auf die Bemerkungen der anderen Drachenaugen einzugehen.
»Der verliert immer schneller die Beherrschung«, sagte Lady Dela nachdenklich.
Ein sehr junger Eunuch aus dem Harem fiel neben ihr auf die Knie, um ihr eine Nachricht zu überbringen. Sie seufzte.
»Lass mich raten«, sagte sie zu ihm. »Lady Jila möchte mich kurz sprechen, bevor ich ihr Meisterwerk vortrage.«
Der Eunuch nickte und versuchte vergeblich, ein Lächeln zu unterdrücken.
»Erlaubt, dass ich mich entferne, Lord Eon«, sagte Lady Dela, griff nach ihrem Saum und richtete sich halb auf.
»Selbstverständlich.«
Ich wandte mich wieder Dillon zu und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Na los, mach dich sauber.«
Er drückte das Handtuch an den Riss über dem Auge.
»Das hatte ich ganz vergessen«, sagte er mehr zu sich selbst.
»Der ganze Alkohol hat nichts geholfen.« Ich zog seine Hand weg und sah mir die Verletzung an. »Immerhin hat es aufgehört zu bluten.«
»All das ist … es ist einfach nicht so …« Er verstummte und sah sich verängstigt nach Lord Ido um, doch das Drachenauge hatte den Saal bereits verlassen.
»… einfach nicht so leicht?«, schlug ich vor. »Aber es ist besser, als nicht erwählt worden zu sein, oder?«
Er lächelte matt. »Als ich die Perle des Rattendrachen berührte und seine Kraft durch mich hindurchfuhr, war es, als gehörte mir die Welt.« Er sah zu mir auf und sein Gesicht erstrahlte in reinem Staunen. »Du weißt ja, wie das war.«
Ich erwiderte sein Lächeln. »Oh ja.«
»Und als mich dann sein wahrer Name durchströmte, hätte es mich vor Freude beinahe zerrissen.«
Die Luft ringsum schien zu erstarren. Sein wahrer Name? Meine Muskeln verkrampften sich in einer furchtbaren Vorahnung.
»Sein wahrer Name«, wiederholte ich.
»Habt Ihr das auch so empfunden, Mylord?«, fragte Dillon.
Ich nickte steif.
War das das Raunen gewesen, das sich von mir entfernt hatte? Ich erinnerte mich, Ohr und Hände an die goldene Perle gedrückt zu haben, um den immer leiser werdenden Klang zu vernehmen. Warum hatte mich der Name des Drachen nicht durchströmt, wie es bei Dillon gewesen war? Mir stockte der Atem. Ob es daran lag, dass ich meinen wahren Namen nicht preisgegeben hatte? Aber das hätte meinen Tod bedeutet.
Ich hatte die einzige Gelegenheit versäumt, den Namen des roten Drachen zu
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