Drachentochter
erfahren.
Dillon wischte sich Blut von der Wange. »Es erfüllt mich mit tiefer Demut, dass ich den Rattendrachen und seine Macht nun beschwören kann«, sagte er. »Lord Ido hat mich bereits eingewiesen, wie ich mich ihm zu nähern habe.« Er sah erneut zur Tür des Saals und stellte erleichtert fest, dass sein Meister noch immer nicht zurückgekehrt war.
Ich hatte keine Möglichkeit, den Spiegeldrachen zu beschwören.
Oder seine Macht.
Oder die Befehle des Kaisers zu erfüllen.
Wenn ich den Drachen nicht rufen und seine Macht nicht nutzen konnte, nützte ich weder dem Kaiser noch meinem Meister etwas. Und auch sonst niemandem.
»Alles in Ordnung, Mylord?«, fragte Dillon.
Keiner durfte davon wissen, denn das würde meinen Tod bedeuten. Und den Tod meines Meisters. Der Kaiser würde uns beide töten lassen.
»Lord Eon?«
Ich zuckte zusammen, als Dillon mich vorsichtig an der Hand berührte.
»Ja, tiefe Demut«, sagte ich und rang mir ein Lächeln ab.
Neben mir zog ein Eunuch Lady Delas Stuhl zurück.
»Es ging bloß darum, ein Wort zu ändern«, sagte sie beim Hinsetzen. »Künstler sind einfach nie zufrieden.«
In den nächsten Stunden gab es für mich nur meine Angst und die eine nackte Wahrheit, die unerlässlich auf mich einhämmerte: Ich konnte meinen Drachen nicht rufen. Irgendwann kehrte Lord Ido zurück. Weitere Speisen wurden aufgetragen, und ich aß, bis mir eine gewaltige Übelkeit in die Kehle stieg und mich davon abhielt, noch mehr in mich hineinzustopfen. Die Dichter trugen ihre Werke vor, und ich klatschte und lächelte, obwohl ich ihre Worte nicht begriff. Nur eine Strophe, die Lady Dela vortrug, drang zu mir durch:
Wenn Sonne und Mond gemeinsam aufgehen,
Hält der Himmel die Perle der Nacht
Und schenkt dem blendenden Licht Dunkelheit
Und dem brennenden Land lindernde Kühle.
Lord Ido schrak auf. Die höfliche Stille im Saal wurde plötzlich erdrückend und ich spürte die Aufmerksamkeit aller auf uns beide gerichtet. Der Kaiser begann zu klatschen und der Prinz schloss sich dem Applaus seines Vaters rasch an. Die Höflinge und übrigen Gäste fielen daraufhin eilfertig in den Beifall ein. Lady Jila hatte die kleine Skulptur aus Jade gewonnen und der junge Haremseunuch brachte sie ihr hinter den Wandschirm.
Und dann war das Bankett endlich zu Ende. Wir alle fielen auf die Knie, als erst der Kaiser und danach der Erbprinz auf prächtig verzierten Tragesesseln aus dem Saal gebracht wurden. Ich blickte auf den Mosaikboden und versuchte, mich von dem Zittern abzulenken, das mich ergriffen hatte. Langsam erhoben sich alle ringsum und unterhielten sich nun, da der Kaiser nicht mehr zugegen war, deutlich entspannter. Ich spürte Rykos dicken Bauch im Rücken. Dann fasste er mich mit einer großen Hand am Arm und zog mich auf die Beine.
Lady Dela musterte mich. »Ihr fühlt Euch nicht wohl, Mylord?«
Ich schüttelte nur den Kopf, weil ich fürchtete, mich übergeben zu müssen, falls ich den Mund öffnete.
»Ich werde dafür sorgen, dass Ihr zurück in Eure Gemächer gebracht werdet.«
Sie winkte einen stämmigen Eunuchen herbei und gab ihm mit leiser Stimme Anweisungen. Er verbeugte sich und führte mich aus dem Saal, wobei er den Gruppen plaudernder Gäste so auswich, dass uns niemand aufhielt. Früher als alle anderen stand ich im Hof. Der Eunuch geleitete mich rasch einen Weg entlang, der an eleganten Gebäuden vorbei und über Hofgärten führte, die von roten Laternen beleuchtet wurden. Ich atmete beim Gehen tief durch, in der Hoffnung, die kühle Nachtluft würde meine Übelkeit lindern. Ich wusste, dass ich mich übergeben würde, wollte das aber nicht in der Harmonierobe tun – ich musste es bis in meine Gemächer schaffen.
Schließlich blieb der Eunuch stehen. »Eure Gemächer, Mylord«, sagte er und verneigte sich.
Ich krümmte mich keuchend. Im schwachen Licht der Laternen hatte ich weder den Hof noch meine Gemächer erkannt. Ein Schatten kam von der Terrasse auf mich zugeeilt und erwies sich rasch als Rilla.
Ich schickte den Eunuchen mit einer Handbewegung weg. »Danke. Jetzt geh.«
Er verbeugte sich und verschwand im Halbdunkel. Rilla fing mich gerade noch auf, als ich in die Knie sank.
»Mir ist schlecht«, brachte ich mühsam hervor. »Zieh mir die Robe aus.«
Rilla zog mich vom Boden hoch und wuchtete mich auf die Terrasse.
»Die Robe«, krächzte ich.
Sie setzte mich vorsichtig auf einer Stufe nieder, zog an der Schärpe und nestelte an den
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