Drachentochter
Schleifen.
»Halt still«, sagte sie. »Ich bin fast fertig.«
Keuchend richtete ich den Blick auf eine Laterne. Die Schärpe löste sich und rutschte zu Boden. Rilla zog mir die Robe von den Schultern. Ich wand die Arme aus den Ärmeln, kippte nach vorn und landete auf dem Kiesweg. Scharfe Steine drangen durch mein dünnes Untergewand und Handflächen und Knie taten furchtbar weh. Beim ersten Würgen brachte ich nur Speichel und Schleim heraus; beim zweiten Mal stieg ein solcher Gestank auf, dass ich husten musste; beim dritten Schub glaubte ich, es zerrisse mir den Magen. Dann endlich erbrach ich das Festessen in einem gewaltigen Schwall aus halb verdautem Fleisch, Suppe, Reis und Wein. Wieder und wieder übergab ich mich, bis ich glaubte, meine Eingeweide herauszuwürgen.
»Bei den Göttern – wie viel hast du denn gegessen?«, frag te Rilla und drückte mir dabei die Hand an die Stirn, um meinen Kopf zu stützen.
Doch ich hatte keine Zeit, ihr zu antworten, sondern musste erneut würgen. Schließlich ließ der Brechreiz nach. Ich räusperte mich und spuckte ins sorgfältig gestutzte Gras.
»Ich werde nie mehr etwas essen«, sagte ich und putzte mir die Nase. »Wie schaffen die Adligen das nur jeden Abend?«
»Der heutige Abend war ein Kinderspiel«, sagte Rilla vergnügt, nahm die dicke Geschichtenrobe vom Boden, legte sie sich über den Arm und achtete darauf, dass die Falten übereinanderlagen. »Warte, bis der Kaiser nächsten Monat Geburtstag feiert. Das dauert drei Tage und drei Nächte.«
Ich rappelte mich langsam auf. Die Schiebetür meiner Gemächer glitt beiseite und zwei Mägde kamen angelaufen. Die eine wischte mir mit einem kühlen, feuchten Tuch die Stirn, die andere gab mir einen Becher Pfefferminzwasser. Ich spül te mir den Mund aus und spuckte ins Gras. Wenn ich den Namen meines Drachen nicht bald herausfände, würde ich das Geburtstagsfest des Kaisers nicht mehr erleben.
9
Am nächsten Morgen erwachte ich, als Rilla die Fensterladen aufschlug. Die Dämmerung verwandelte das Zimmer in eine graue Schattenlandschaft; der einzige Farbfleck war die rote Glut im Kohlebecken.
»Fühlst du dich besser?«, fragte sie.
Ich drehte mich auf den Rücken und blinzelte den Schlaf aus den Augen. Unbekannte Umrisse in einer Zimmerecke erwiesen sich langsam als kleiner Altar mit Fußbodenkissen, Opferschalen, Räucherstäbchen und Totentafeln. Ich hatte ihn am Abend zuvor nicht einmal bemerkt; die Erschöpfung hatte mich sofort in einen traumlosen Abgrund stürzen lassen. Immerhin war die tiefe Müdigkeit nun verschwunden, doch ich trieb noch immer in warmer Trägheit. Ich streckte die Arme und Beine, ohne mich vom stechenden Schmerz in der Hüfte abhalten zu lassen.
»Viel besser. Danke.«
Und dann fiel es mir ein: Ich kannte seinen Namen nicht.
Ich setzte mich auf; mein faules Behagen war verschwunden. Rilla ging zum Kohlebecken und nahm den Wassertopf vom Feuer.
»Der Tee ist fertig«, sagte sie und goss Wasser in eine Schale. »Ob du auch etwas essen kannst?«
Der Magen wollte sich mir umdrehen, beließ es dann aber bei einem flauen Schmerz. »Ein bisschen vielleicht.«
Ich kannte seinen Namen nicht und das durfte niemand wissen. Nicht einmal mein Meister oder Rilla. Noch nicht.
Rilla rührte den Tee um und brachte ihn vorsichtig an den Tisch neben meinem Bett.
»Trink das aus. Ich bin gleich zurück«, sagte sie und wand te sich zur Tür.
»Aber bitte etwas Leichtes«, rief ich ihr nach.
»Keine Ente – versprochen«, sagte sie lächelnd und schloss die Tür.
Ich lehnte mich ans Kopfende des Bettes. Obwohl der Tee der Geistmacherin eine ganze Armlänge entfernt war, schlug mir sein muffiger Geruch auf den Magen. Ich nahm die Tasse und blickte in die trübe Flüssigkeit. Ich musste einen Weg finden, den Namen meines Drachen herauszufinden.
Wo nach dem Unerkennbaren suchen? Selbst wenn ich es gewagt hätte, jemanden zu fragen – wer hätte mir helfen können? Niemand kannte den geheimen Namen des Spiegeldrachen außer dem Spiegeldrachenauge – und dem Drachen selbst. Und da ich seinen Namen nicht wusste, konnte ich ihn auch nicht herbeirufen, um ihn danach zu fragen.
Ich blies über die Oberfläche des Tees und trank die Schale auf einen Zug leer. Der scheußliche Geschmack und die Hitze ließen mich die Zähne zusammenbeißen.
Wenn mir seit der Begegnung in der Arena der Spiegeldrache erschienen war, dann stets hinter einer Dunstschicht. Ich hatte nicht einmal seine
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