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Drachentochter

Drachentochter

Titel: Drachentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Goodman
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blieb stehen und wandte sich mir zu. »Welche Bindung haltet Ihr für die stärkste, Lord Eon?«
    Ich sah in seine dunklen Augen und suchte nach einem Hinweis auf die Antwort. War er wie so viele Menschen von Rang, die nur in ihrer Meinung bestätigt werden wollten, oder war er tatsächlich an meinem Standpunkt interessiert? Ich entdeckte nur Neugier und Offenheit in seinem Blick. Ich würde mich vor seinem Charme in Acht nehmen müssen – seine freundliche Art konnte einen leicht in die Falle einer ehrlichen, aber unbedachten Äußerung tappen lassen.
    »Das politische Bündnis, Hoheit.«
    Noch während ich das sagte, standen mir unvermittelt Dolana und die Saline vor Augen. Am Abend meiner Ankunft hatte sie mich an die Wand geschoben und vor mir geschlafen, mich also mit ihrem Körper geschützt. Am nächsten Morgen hatte sie für meine wenigen Habseligkeiten eine Tasche an mein grobes Gewand genäht und mir gezeigt, wie ich mich halten musste, um der Aufmerksamkeit des Peitschenmeisters zu entgehen. Als sie später an der Salzgrube hustend hingefallen war, hatte ich ihren und meinen Sack zu den Karren geschleppt und dafür gesorgt, dass alle ohne Unterbrechung weiterschuften konnten. Während dieser einen Nacht und dieses einen Tages hatte es keine Zeit für die höheren Bestrebungen der Freundschaft oder Politik gegeben. Bei unserer Verbindung war es um sehr viel grundlegendere Dinge gegangen.
    »Nun, mein Vater wird erfreut sein«, sagte der Prinz.
    Er ging wieder weiter. Ich hielt mit ihm Schritt und kämpf te gegen die Erstarrung an, die mich zu übermannen drohte. Er runzelte die Stirn. Hatte ich ihm womöglich die falsche Antwort gegeben?
    »Ich halte Freundschaft und Liebe für stärker«, sagte er unvermittelt. »Findet Ihr mich deshalb schwach und weibisch?«
    »Nein«, sagte ich vollkommen verblüfft.
    Er lächelte mir rasch und selbstbewusst zu. »Manchmal frage ich mich, ob meine Gedanken zu stark davon beeinflusst werden, dass ich hier im Harem lebe. Unter lauter Frauen.«
    Wir blieben vor dem Mitteltor stehen, und der Pförtner machte sich eilends daran, den Riegel zu heben. Durch das vergoldete Gitter sah ich einen weiteren Hof. Er wurde von einem reich geschmückten Pavillon beherrscht, der inmitten eines großen Teichs stand. Eine Holzbrücke spannte sich über das Wasser zu einer Veranda, deren goldenes Dach sich an den Ecken zu geschnitzten Drachen aufschwang. Zwei große Fensterläden waren geöffnet worden und gaben den Blick auf einen Mann frei, der unser Kommen beobachtete.
    Der Pförtner ließ die Torflügel aufschwingen und fiel auf die Knie, als wir den Mauerbogen durchschritten.
    »Auch Männer halten Freundschaft für eine starke Bindung, Hoheit«, sagte ich und spürte die Hand verspielter Götter in meinem plötzlichen Aufstieg zu einer Autorität in Sachen Männlichkeit. »Aber sie entsteht nicht auf Befehl, und das Vertrauen, das jeder Freundschaft zugrunde liegt, braucht mitunter lange Zeit, um zu reifen.«
    Der Prinz nickte. »Stimmt.« Er neigte den Kopf zur Seite und musterte mich lange. »Lord Eon, ich will offen mit Euch sein. Ich bezweifle, dass wir beide diese Zeit haben werden, wenn die Dinge bleiben, wie sie sind.«
    Das sagte er ganz nüchtern, doch ich sah ihn dabei heftig schlucken. In den letzten Tagen voller Angst hatte ich gedacht, nur ich würde Gefahr und Schrecken empfinden. Doch nun hatte ich die wahre Lage der Dinge erkannt und fühlte mich darin gefangen wie in einem gewaltigen Netz, das mein Los untrennbar mit dem des Prinzen verband. All meine Handlungen würden Auswirkungen auf die kaiserliche Dynastie haben. Plötzlich kam mir eine Zeile aus den Drachenschriften in den Sinn: Hüte dich vor der Freundschaft mit einem Prinzen. Ich war überzeugt, dass dies ein guter Rat war.
    »Wir mögen noch nicht befreundet sein, Hoheit«, sagte ich, und mein Herz pochte schneller, da ich wusste, wie dreist meine nächsten Worte waren, »doch es gibt einen Bund, den wir sofort eingehen können.«
    »Und wie sieht dieser Bund aus, Lord Eon?«
    Eine Erinnerung an Dolana, wie sie sich unter Lungenkrämpfen wand, schoss mir durch den Kopf.
    »Gegenseitige Überlebenshilfe«, sagte ich.
    Wir blickten uns an. Es war das wortlose Abschätzen zweier neuer Bündnispartner.
    »Einverstanden«, sagte er und führte die Hand von der Stirn zum Herzen, um die Abmachung zu besiegeln.
    Im Vergleich zur Pracht der übrigen Palastgebäude war der Pavillon der Irdischen Erleuchtung nur

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