Drachentochter
schließenden Tors hallte von den Mauern wider.
Der kaiserliche Harem lag hinter hohen Mauern und bestand aus einigen schwer bewachten Gebäuden und Gärten im Zentrum des Palastbezirks, dem Ort der Großen Fülle. Doch Lady Dela hatte mir erzählt, dass der gegenwärtige Kaiser nur vierzig Konkubinen besaß und nur zwölf Kinder gezeugt hatte – vier davon mit Lady Jila. »Offenbar liebt er sie«, hatte Lady Dela gesagt und dabei die Brauen gehoben. Die Zuneigung des Kaisers kam nicht von ungefähr, denn Lady Jila hatte ihm seine beiden einzigen Söhne geschenkt.
Ich wurde durch den kalten Gang in die helle Wärme eines Hofs geführt, der mindestens so groß war wie der Mondgarten meines Meisters. Am gegenüberliegenden Ende des Hofs stand eine hohe Ziegelmauer mit drei Toren, die den Rest des Harems den Blicken entzog. Niedrige Gebäude mit geschlossenen Fensterläden flankierten den sorgfältig angelegten Garten. Seine engen Wege schlängelten sich um Blumenbeete, in den winzigen Bäumen hingen Vogelkäfige und im Teich schlugen orange schimmernde Karpfen kleine Wellen. Durch den Gesang der eingesperrten Vögel hörte ich ein leises, stoßweises Kichern, das langsam lauter wurde, dann aber von einem scharfen Tadel erstickt wurde. Ich blickte auf, und einige Frauen, die durchs Gitter des mittleren Tors geschaut hatten, zogen sich zurück.
»Hier entlang, Mylord.«
Ich folgte dem alten Eunuchen einen Pfad entlang und musste bisweilen unter Schmerzen traben, um mit seinem erstaunlich flotten Tempo Schritt zu halten. Er führte mich am Teich vorbei zum letzten Gebäude auf der rechten Seite und bedeutete mir mit einer tiefen Verbeugung durch die Tür zu treten.
Es war ein kleines dunkles Wartezimmer, denn das einzige Licht fiel durch die Tür und durch das Blumenschnitzwerk der Fensterläden. An der Wand am anderen Ende des Zimmers war eine mit blauen Kissen gepolsterte Bank, und auf dem niedrigen Tisch davor warteten eine Karaffe und mehrere Trinkschalen. Vor einer anderen Wand stand ein Seidenparavent, auf den mit feinem Pinsel langbeinige Kraniche und hohe Gräser gemalt waren.
Der alte Eunuch forderte mich mit einer Handbewegung auf, mich auf die Bank zu setzen. »Mylord, darf ich Euch eine Erfrischung anbieten?«
»Nein, danke.«
Er verbeugte sich und zog sich zurück.
Ich war gerade an den Wandschirm getreten, um die Malerei aus der Nähe zu betrachten, als ein leises Murmeln mich herumfahren ließ. Eine Dame in einem formellen grünen Gewand war in der Tür stehen geblieben, um den Eunuchen, der sie begleitete, wegzuschicken. Dann trat sie allein ein und sank vor mir zur höfischen Verbeugung auf die Knie, was die vielen Jadeanhänger ihres Haarschmucks zum Schaukeln brachte.
»Lord Eon, ich bin Lady Jila. Bitte verzeiht, dass ich Euch aufhalte, da Ihr doch gekommen seid, um Seine Hoheit, den Prinzen, zu besuchen. Es dauert nur einen Moment – das verspreche ich Euch.«
Sie blickte auf, und es war unübersehbar, dass der Erbprinz die Schönheit von seiner Mutter geerbt hatte. Ihre zarten Knochen bildeten beim Prinzen kraftvollere Züge, doch beide hatten dieselben großen dunklen Augen und wunderbar ebenmäßigen Gesichter, die tief in mir etwas berührten. Unwillkürlich verbeugte ich mich vor ihr, was ein Bruch des höfischen Protokolls war, doch sie beantwortete meine Höflichkeit mit einem raschen Lächeln, in dem so viel stilles Verständnis und ruhige Klugheit lagen, dass ich begriff, warum der Kaiser am liebsten mit ihr zusammen war.
»Ich möchte Euch um etwas bitten, Mylord«, sagte sie, und ihr Blick war so offen wie ihre Worte.
»Wie kann ich Euch behilflich sein, Mylady?«, fragte ich, obwohl eine Bitte das Letzte war, was ich jetzt hören wollte. Die Erwartungen meines Meisters und des Kaisers wogen schon schwer genug.
Sie erhob sich, setzte sich auf die Bank und faltete die Hände im Schoß. Zögernd nahm ich ein Stück von ihr entfernt Platz.
»Die Kaiserin hat auf ihrem Sterbebett verfugt, dass Prinz Kygo – ihr einziges Kind – bis zu seinem achtzehnten Geburtstag im Schutz des Harems leben und ausgebildet werden soll«, sagte Lady Jila vorsichtig. »Aber es ist für den Prinzen nicht einfach gewesen; die Wissenschaften bereiten ihm Verdruss, und er sehnt sich danach, seinem Vater beizustehen. Inzwischen ist genau dies unbedingt notwendig. Ihr habt gesehen, wie krank der Kaiser –« Sie biss sich auf die Lippen und wandte sich ab. Als sie mich erneut ansah, waren ihre Züge
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