Drachentränen
dieser peinlichen Lage erlöste:
»… weil wir Ordegard zusammen erledigt haben. Und wenn dieser Kerl Ordegard kontrollierte, dann ist er auf mich fast genauso wütend wie auf dich.«
»Ich musste dich warnen«, sagte Harry. »Wir hängen da beide drin.«
Obwohl sie ihn - wie er wusste - neugierig betrachtete, sagte sie nichts. Er tat so, als würde er ihren analytischen Blick nicht bemerken.
Nach einer Weile sagte sie: »Du glaubst, dieser Ticktack kann sich einschalten und uns hören und sehen, wann immer er will? Also zum Beispiel jetzt?«
»Ich weiß nicht.«
»Er kann nicht allwissend sein, wie Gott«, sagte Connie. »Vielleicht sind wir ja nur ein blinkendes Licht auf seinem geistigen Kontrollmonitor, und er kann uns nur sehen oder hören, wenn wir ihn sehen und hören können.«
»Vielleicht. Wahrscheinlich. Wer weiß?«
»Wir sollten hoffen, dass es so ist. Denn wenn er uns die ganze Zeit zuhört und uns beobachtet, dann sind unsere Chancen gleich Null, diesen Scheißkerl jemals zu erwischen. In dem Moment, wo wir uns ihm nähern, wird er uns niederbrennen, so wie er deine Wohnung in Schutt und Asche gelegt hat.«
Auf der von Geschäften gesäumten Hauptstraße von Corona Del Mär und entlang der dunklen Küste von Newport, wo das Land für eine neue Siedlung auf den zum Meer hin liegenden Hügeln begradigt wurde und wo riesige Maschinen zum Bewegen von Erdmassen wie prähistorische Tiere standen, die im Stehen schliefen, hatte Harry ein kribbelndes Gefühl im Nacken. Als sie den Küsten-Highway nach Laguna Beach hinunterfuhren, wurde es noch schlimmer. Er kam sich vor wie eine Maus, die von einer sich anschleichenden Katze beobachtet wird.
Laguna war eine Künstlerkolonie und ein Touristenmekka, immer noch berühmt für seine Schönheit, obwohl es schon bessere Tage gesehen hatte. Mit goldenen Lichtern gesprenkelt und von sanftem Grün bedeckt, fielen seine Hügel von Osten zur Küste des Pazifiks hin langsam ab, so anmutig, wie eine schöne Frau eine Treppe zur Brandung hinuntersteigt. Doch heute Abend wirkte die Dame weniger schön als gefährlich.
Kapitel 2
Das Haus stand auf einem Kliff über dem Meer. Die Westseite war fast vollständig aus getöntem Glas und bot einen kolossalen Blick auf den Himmel, das Wasser und die tosende Brandung.
Wenn Bryan tagsüber schlafen wollte, konnte er die elektronisch gesteuerten Rollläden herunterlassen, um die Sonne zu verbannen. Jetzt war jedoch Nacht, und während Bryan schlief, war in den riesigen Fenstern ein schwarzer Himmel zu sehen, ein noch schwärzeres Meer und die leuchtenden Brecher, die wie in Reih und Glied marschierende Geistersoldaten heranrollten.
Wenn Bryan schlief, träumte er immer.
Obwohl die meisten Leute in Schwarzweiß träumen, waren seine Träume ganz in Farbe. Ja, das Farbenspektrum in seinen Träumen war sogar noch größer als im wirklichen Leben, eine sagenhafte Vielfalt von Abstufungen und Schattierungen, die jedem Traumbild eine bezaubernde Verschlungenheit verliehen.
Die Zimmer in seinen Träumen waren nicht bloß vage angedeutet und die Landschaften keine impressionistischen Schmierereien. Jeder Schauplatz, den er im Schlaf sah, war anschaulich - sogar erschreckend - detailliert. Wenn er von einem Wald träumte, wurde jedes Blatt mit allen Adern gezeigt, hatte eine individuelle Sprenkelung und Schattierung. Wenn es um Schnee ging, war jede Flocke einzigartig.
Schließlich war er nicht irgendein Träumer. Er war ein schlummernder Gott. Kreativ.
An diesem Dienstagabend waren Bryans Träume wie immer voller Gewalt und Tod. Er konnte seine Kreativität am besten in fantasievollen Formen der Zerstörung ausdrücken.
Er ging durch die Straßen einer Phantasiestadt, die labyrinthischer war als jede Stadt, die in der realen Welt existierte, eine Metropole voller Türme. Wenn Kinder ihn ansahen, wurden sie von einer Seuche befallen, die so wunderbar bösartig war, dass aus ihren kleinen Gesichtern auf der Stelle Unmengen nässender Pusteln hervorbrachen und blutige Verletzungen ihnen die Haut zerrissen. Wenn er starke Männer nur berührte, gingen sie in Flammen auf, und die Augen schmolzen ihnen in den Höhlen. Junge Frauen alterten vor seinen Augen, welkten und starben innerhalb von Sekunden, von Objekten der Begierde in von Würmern wimmelnde Abfallhaufen verwandelt. Wenn Bryan den Ladenbesitzer vor seinem Lebensmittelgeschäft an der Ecke anlächelte, fiel er auf die Straße, wand sich im Todeskampf, und
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