Drachenwacht: Roman (German Edition)
bisschen zurückziehen und die Drachen schlafen lassen mussten, während eine Gruppe der kleinen Wilddrachen Wache hielt.
Beinahe zwei Monate waren sie schon unterwegs, als Arkady in der ersten Märzwoche unter großem Getöse landete mit Tharkay auf seinem Rücken und drei anderen seiner Wilddrachen als Eskorte. Sofort begann er, vor Temeraire und den anderen herumzustolzieren und von seinen Abenteuern seit ihrem letzten Treffen zu berichten. Er war zwar lediglich für Patrouillenflüge mit den anderen eingeteilt gewesen, aber seinem Bericht nach hatte er ganze Horden von französischen
Drachen bekämpft und viele Schätze gewonnen, und er brüstete sich damit, dass es ihnen nun ebenfalls gut ergehen würde, da er gekommen wäre, um sich ihnen anzuschließen. Bei diesen Neuigkeiten legte Temeraire verstimmt seine Halskrause an.
»Ich habe eine Nachricht von Wellesley für dich«, sagte Tharkay an Laurence gewandt und gesellte sich zu ihm in dem kleinen Bauernhaus, in dem sie über Nacht Unterschlupf gefunden hatten. Die allgegenwärtigen Karten waren auf einem behelfsmäßigen Tisch ausgebreitet, nämlich einer Tür, die über zwei Böcke gelegt worden war. Tharkay stand in die Tür gelehnt und sah zu, wie Laurence den Brief öffnete. Ihr Lager war ein seltsamer, stiller Ort: Es gab keine Gefangenen außer dem einen französischen Offizier und Kapitän, der niedergeschlagen vor einer Hütte saß. Seine Hände waren lose zusammengebunden und an einem Pflock im Boden befestigt, während er von einigen Männern aus Granbys Bodenmannschaft bewacht wurde. Die ausgerissenen Bäume, die die Drachen dafür benutzten, im Flug die Franzosen zusammenzukehren, lagen auf einem großen Haufen am Rande des Lagers. Die dunklen, kahlen Äste waren vom getrockneten Blut noch dunkler, und der Berg sah aus wie ein Baumfriedhof. Die Männer gingen schweigend ihrer Arbeit nach, ohne sich darüber zu beklagen oder Befriedigung zu empfinden. An diesem Morgen hatten sie fünfzig Mann getötet.
Wellesleys neue Befehle unterschieden sich nicht sehr von den vorherigen. Er lenkte ihre Anstrengungen lediglich weiter in Richtung der Ostküste und vermied sorgfältig jedes Wort, das hätte andeuten können, wie diese Bemühungen aussehen mochten. Alles blieb unausgesprochen, und Wellesley schloss mit der Bemerkung: »… und Sie können sich gerne dieser elenden Kreatur und seines Anhangs annehmen, wenn Sie eine bessere Verwendung für sie haben .«
»Nun gut«, sagte Laurence und legte den Brief beiseite. Er breitete die Karte der Nordseeküste aus, um die Sache zu überdenken. Es hatte einige Vorstöße von Versorgungstrupps in der Nähe von Stickney und einem Außenposten nahe Cromer gegeben, einem der Orte,
an denen die Fleur-de-Nuits wahrscheinlich mit frischen Truppen landen würden, wenn sie herüberkämen. »Sie müssen dort zweimal in der Woche Stoßtrupps aussenden«, teilte Laurence Tharkay mit. »Ich werde dich mit Berkley dorthin schicken und die anderen von uns nach Stickney bringen; wenn du beim Außenposten anfängst und immer weitere Kreise ziehst, dann wirst du bald genug auf die Franzosen treffen. Es sollten nicht mehr als fünfzig Mann sein. Es gibt inzwischen keine größeren Gruppen mehr. Berkley wird dir entgegenkommen, und dann kannst du ihnen den Rückzugsweg abschneiden …«
»Ich bitte um Verzeihung«, sagte Tharkay, »aber davon würde ich lieber absehen.«
Laurence hielt inne, und seine Hand verharrte mitten in der Luft über der Karte.
»Ich bin mir sicher, dass Arkady dir zu Diensten sein will«, sagte Tharkay, »aber jemand anders muss ihn als Kapitän übernehmen. Ich bedaure«, fügte er mit ironischem Unterton hinzu. »Ich kann mir den Luxus nicht leisten, eine Zeit lang jedes zivilisierte Verhalten abzulegen und mit Füßen zu treten. Ich muss ein bisschen vorsichtiger sein. Ein kurzeitig grausames Verhalten mag bei einem Gentleman zu verzeihen, vielleicht sogar bewundernswert sein, aber mich würde es für alle Ewigkeit als einen Wilden brandmarken. Laurence, was machst du denn bloß?!«
Die Frage war einfach genug und hätte ein Dutzend Antworten verdient, von denen Laurence eine nach der anderen durch den Kopf schoss. »Soldaten töten«, sagte er schließlich. »Und dafür sorgen, dass sie Hunger leiden, was sie grausam macht, wodurch sie uns noch bessere Entschuldigungen liefern.«
Der traurige Vorteil an dieser Antwort war, dass sie der Wahrheit entsprach. Als Laurence sie jedoch laut äußerte,
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