Drachenwacht: Roman (German Edition)
»Du hast wohl nicht vor, wieder zu verschwinden, oder?«
»Oh«, entfuhr es Temeraire, und seine Halskrause bebte. »Ich dachte, du würdest nur schlafen und nicht mich vorsätzlich ignorieren. Dann gehe ich sofort wieder.«
»Also jetzt kannst du auch bleiben«, antwortete Majestatis, hob den Kopf und gähnte sich munter. »Ich mache mir nur nicht die Mühe aufzuwachen, wenn die Angelegenheit nicht so wichtig ist, dass ein Besuch deswegen wartet, das ist alles.«
»Ich denke, das macht Sinn, wenn einem sein Schlaf wichtiger ist als eine Unterhaltung«, entgegnete Temeraire mit leisem Zweifel in der Stimme.
»Du wirst ihn auch wichtiger finden, wenn du ein paar Jahre mehr auf dem Buckel hast«, verkündete Majestatis.
»Nein, das denke ich nicht«, erwiderte Temeraire. »Zumindest sagt die Wissenschaft, dass die wichtigen Drachenrassen nicht mehr als vierzehn Stunden am Tag schlafen, und so werde ich es auch halten.
« Doch dann fügte er trübselig hinzu: »Es sei denn, ich stecke immer noch hier fest, ohne dass es etwas Sinnvolles zu tun gibt.«
»Wenn du das denkst, warum bist du dann hier und nicht auf einem der Stützpunkte?«, fragte Majestatis. Temeraires Erklärung lauschte er dann mit demselben stoischen Mitgefühl, mit dem man einem Geschichtenerzähler sein Ohr leiht. Temeraire hatte mittlerweile kein anderes Verhalten erwartet und nahm es nicht persönlich, dass er nichts weiter erntete als ein Nicken und die Bemerkung: »Schweres Schicksal, armer Wurm.«
»Und warum bist du hergekommen?«, wagte sich Temeraire vor. »Du bist doch auch noch nicht alt. Liebst du es wirklich so sehr, den ganzen Tag zu schlafen? Du könntest einen Kapitän haben und in Schlachten kämpfen.«
Majestatis zuckte jäh mit einer Flügelspitze und legte seine Schwinge wieder an. »Hatte einen und hab ihn verbummelt.«
»Verbummelt?«, wiederholte Temeraire ungläubig.
»Nun ja«, erklärte Majestatis. »Ich habe ihn in einem Wasserbottich zurückgelassen, und da ich nicht annehme, dass er dort noch immer sitzt, habe ich keine Ahnung, wo er jetzt stecken könnte.«
Offenbar neigte er nicht dazu, sich besonders leicht mitreißen zu lassen. Als Temeraire seine Geschichte erzählt hatte, seufzte er und sagte: »Du bist noch sehr jung, dass du deswegen einen solchen Wirbel veranstaltest.«
»Ich mag jung sein«, erwiderte Temeraire, »aber wenigstens jammere ich nicht nur und lasse zu, dass dieses Herumschubsen weitergeht, obwohl ich etwas dagegen unternehmen könnte. Und damit meine ich nicht, dass ich mich damit zufriedengebe«, fügte er mit einem spitzen Seitenblick zur Rückseite von Majestatis’ Höhle hinzu, »die Lage nur für mich selbst zu verbessern.«
Majestatis’ Augen verengten sich nun zu schmalen Schlitzen. Ansonsten blieb der Drache reglos sitzen. »Mir scheint, es könnte sein, dass du die Dinge für alle verschlechterst. Immerhin gibt es jetzt kein Gerangel um die Höhlen, und niemand wird verletzt.«
»Aber es fühlt sich auch niemand wirklich wohl«, entgegnete Temeraire. »Wir könnten schönere Höhlen haben, aber niemand will sich die Mühe machen, die eigene Behausung zu gestalten, wenn man damit rechnen muss, dass sie einem jederzeit wieder weggenommen werden kann, eben weil man sie sich gemütlich eingerichtet hat. Wenn eine Höhle dir gehört, dann sollte sie auch deine bleiben.«
Als Temeraire ebendieses Argument am nächsten Nachmittag vor dem Rat wiederholte, brachte es ihm zweifelnde Blicke ein. Ein starker Westwind hatte die letzten vereinzelten Regenwolken weggetrieben, sodass der Himmel winterlich klar erstrahlte. Die Ratsmitglieder hatten sich auf einer großen Lichtung zwischen den Berggipfeln versammelt und saßen auf angenehm flachen Gesteinsbrocken mit glatten Oberflächen, die von der Sonne angewärmt waren. Majestatis war schließlich doch dazugestoßen. Allerdings verschlief der alte Drache einen Großteil der Diskussion. Nachdem er die Anstrengungen des Fluges hinter sich gebracht hatte, machte er es sich auf dem schwärzesten der Felsen gemütlich und murmelte gelegentlich vor sich hin. Requiescat hatte sich äußerst unvorteilhaft über die halbe Lichtung ausgestreckt im Bemühen, auf diese Weise größer zu erscheinen. Temeraire verachtete ihn für diese Zurschaustellung. Er selbst hatte sich eng zusammengerollt und nur seine Halskrause stolz aufgerichtet. Im Stillen jedoch wünschte er sich, er hätte seine Krallenscheiden dabei oder könnte einen Kopfputz tragen wie
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