Drachenwege
sich Unruhe unter ihnen breit, alle warteten auf die nächste musikalische Darbietung.
Doch anstatt nach den Trommeln zu greifen, sang Kindan das erstbeste Lied, das ihm in den Sinn kam: »Am Morgenhimmel, stolz und leise, zieht ein Drache seine Kreise ...«
Mitten im ersten Vers setzte Nuella mit einer Flö-tenbegleitung ein. Eine süße, schmelzende Melodie, die unter die Haut ging. Vor Überraschung und Rührung geriet Kindan um ein Haar ins Stocken. Doch dann fasste er sich, hob die Stimme ein wenig und überließ es ihr, die instrumentale Begleitung zu improvisieren.
Nachdem die letzte gesungene Note verklang und ein Flötenton wie ein leises Echo in der Luft nachhallte, herrschte im Saal eine atemlose Stille. Danach brandete donnernder Applaus auf. Zu Kindans Verblüffung sprang Meister Zist auf und klatschte ebenso begeistert wie alle anderen Zuhörer. Noch überraschter war er, als Nuella ihm ins Ohr flüsterte: »Können wir noch ein Lied vortragen?«
* * *
Ehe das Fest vorbei war, gaben sie noch sechs weitere Stücke zum Besten. Und Kindan deichselte es sogar, Zenor zu einem Tänzchen mit Nuella zu überreden.
»Du musst sie nur führen, alles andere kommt wie von selbst«, riet Kindan seinem Freund. Als Zenor zweifelnd dreinblickte, fügte er hinzu: »Wenn du nicht mit Nuella tanzt, wirst du eine deiner Schwestern auffordern müssen.« Diese Warnung gab dann den Aus-schlag.
Nuella strahlte vor Glück, als Kindan ihr vom Podium herunterhalf und Zenor den Arm um sie legte.
Kindan unterdrückte ein Schmunzeln, weil Nuella wieder eine ernsthafte Miene aufsetzte, ehe Zenor ihren beseligten Ausdruck sah. Beide gaben sich den Anschein, als täten sie lediglich Kindan einen Gefallen, als sie ihre Plätze auf der Tanzfläche einnahmen.
Meister Zist gesellte sich zu Kindan auf das Podium und spielte auf seiner Fiedel eine ausgelassene Weise, die die Tänzer anspornte. Mit zufriedener Miene sah Kindan zu, wie Nuella und Zenor zusammen mit den anderen Paaren durch den Saal wirbelten, wobei das Mädchen gelegentlich einen leisen quietschenden Schrei ausstieß, wenn Zenor ihr in seinem Eifer auf die Füße trat.
»Die beiden sind zu jung, um ein Paar zu sein, und du bist zu jung, um den Kuppler zu spielen«, zischelte der Harfner Kindan ins Ohr, als die Melodie geendet hatte.
»Sie sind doch nur Freunde«, wiegelte Kindan ab.
»Und es gehört sich doch so, dass auf einem Fest getanzt wird.«
Außer Atem, aber glücklich kehrte Nuella auf das Podium zurück.
Meister Zist bedachte Kindan mit einem bedeutungs-vollen Blick und schickte ihn dann fort. »Du machst jetzt eine Pause, derweil diese junge Dame und ich zum nächsten Tanz aufspielen.«
Kindan nickte ihm zu und begab sich an den Tisch mit den Speisen. Von Millas Leckereien war nichts mehr übrig, und auch sonst gab es nicht mehr viel zu essen. Doch jeder konnte sich noch nach Herzenslust mit frischem, gekühltem Wasser, warmem Gewürzwein und heißem Klah bedienen. Kindans Magen knurrte, und er vertilgte gierig einen Teller mit Gemüse. Danach erfrischte er sich mit Wasser, und erst als sein Durst ge-stillt war, gesellte er sich wieder zu den Feiernden.
Es freute ihn, dass sein Gesang den Leuten gefallen hatte, und von allen Seiten heimste er Lob ein. Aber er wusste, dass Meister Zist mehr von ihm verlangte, als sich zu seiner angenehmen Stimme beglückwünschen zu lassen, deshalb schlendert er wie zufällig zu einer Gruppe von Leuten, die ihm bereits vom Podium aus aufgefallen war.
»Der Wachwher ist also nicht mitgekommen?«, hörte er jemanden fragen. »Und wenn schon, wir brauchen hier keinen. Von diesen Viechern habe ich noch nie viel gehalten.« Kindan trat näher an die Männer heran und merkte, dass es Panit war, der diese abfällige Äußerung von sich gegeben hatte. Panit war einer von den beiden Männern, die ständig mit Tarik zusammengluckten.
Die anderen Kumpel schienen sich dieser Meinung nicht anzuschließen. Ein paar spekulierten, warum der Bergwerkslehrling, dem der Wachwher zugeteilt war, nicht mit der Karawane gekommen war. Kindan hörte einen besorgten Unterton heraus.
»In letzter Zeit gab es viel zu viele Unglücke«, knurrte einer der Männer. »Dauernd stürzen Stollen ein.«
»Und was sollte ein Wachwher daran ändern?«, hielt ihm Panit entgegen. »Sowie man eines dieser Viecher mit in den Pütt nimmt, verführt das die Kumpel dazu, nachlässig zu werden. Sie verlassen sich darauf, dass der Wachwher schon rechtzeitig
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