Drachenwege
Nuella.
Kindan hatte es die Sprache verschlagen, und er konnte nur stumm nicken. Ihm fiel ein, dass sie ja nichts sehen konnte, und er räusperte sich, doch offenbar hatte sie seine Kopfbewegung gespürt, denn sie nahm die Hand von seiner Schulter und nahm wieder auf ihrem Stuhl Platz.
Das konnte noch ein interessanter Abend werden, sagte sich Kindan seufzend.
* * *
»Hast du völlig den Verstand verloren?«, zischte Zenor Kindan zu, nachdem er sich an ihn herangeschlängelt hatte. Nuella spielte wieder auf der Flöte, und Kindan hielt sich in dem Saal auf, der sich immer mehr mit Menschen füllte. »Oder ist sie plötzlich verrückt geworden?«
»Außer dir kennt sie doch niemand, Zenor«, hielt Kindan seinem Freund entgegen. »Wir haben ihre Haut nachgedunkelt, das Haar unter einer Kopfbedeckung versteckt, und sie bleibt auf der Bühne. Die Händler müssen annehmen, sie sei eine von uns, während die Bewohner des Camps glauben, sie gehöre zur Handelskarawane.«
»Aber ihre Eltern werden sie doch wohl wieder-erkennen, oder?«, wandte Zenor mit schmalen Lippen ein. »Und wenn Tarik herausfindet, wer sie ist, mag ich mir die Folgen gar nicht ausdenken.«
»Von mir erfährt er bestimmt nichts«, versicherte Kindan. Während er an den Gästen vorbeischlenderte und hier und da stehen blieb, um zu lauschen, hatte er zumindest eines mitbekommen, nämlich dass Tarik bei den Bewohnern von Camp Natalon äußerst unbeliebt war. Man konnte sogar ohne Übertreibung sagen, dass sich viele nur mit ihm abgaben, weil sie Natalon nicht vor den Kopf stoßen wollten.
Lediglich zwei Kumpel hielten große Stücke auf Tarik, Kerdal und Panit, seine alten Spießgesellen. Doch aus Äußerungen, die deren Ehefrauen von sich gaben, schloss Kindan, dass sie nicht aus Freundschaft mit ihm Umgang pflegten, sondern weil sie sich irgendwelche Vorteile erhofften.
»Und was ist mit ihren Eltern?«, beharrte Zenor. Ehe Kindan antworten konnte, klappte Zenors Kinnlade herunter. Jählings packte er Kindan beim Arm und riss ihn herum. »Zu spät!«
Kindan sah, wie Natalon und Jenella den Saal betraten. Jenella trug ihr Baby auf dem Arm. Dalor folgte ihnen und peilte mit angespannter Miene nach rechts und links. Kindan eilte zu ihnen hin, um sie zu be-
grüßen.
»Mein Lord, meine Lady«, sprach er Natalon und Jenella an, während er sich gewandt vor ihnen verbeugte, wie Meister Zist es ihm beigebracht hatte.
»Meister Zist heißt euch herzlich willkommen. Dort sitzt er und unterhält sich gerade mit der Führerin der Handelskarawane, Tarri.« Er deutete in die Richtung.
Dann wies er mit ausgestrecktem Arm auf das Podium mit den Musikinstrumenten. Gerade spielte Nuella eine mitreißende Melodie. »Zum Glück ist heute Abend jemand anwesend, der mich beim Musizieren unterstützt«, fuhr er fort. »Vermutlich habt ihr das Mädchen noch nie gesehen. Sie muss mit der Handelskarawane gekommen sein und bat darum, auf ihrer Flöte spielen zu dürfen. Ihr habt doch sicher nichts dagegen?«
Natalon hörte Kindan mit zerstreutem Gesichtsausdruck zu, bis seine Frau nach seinem Arm griff und ihn drängte, den Blick auf das Podium zu richten.
»Wenn ich etwas falsch gemacht habe, meine Lady«, fügte Kindan hinzu, »dann werde ich das Mädchen bitten, vom Podium herunterzukommen.«
Natalon riss vor Verwunderung die Augen auf, als er Nuella gewahrte, und strafte Kindan mit einem wütenden Blick ab. Jenella klammerte sich fester an Natalons Arm und schüttelte kaum wahrnehmbar den Kopf. »Ich habe noch nie gehört, dass jemand so wunderbar Flöte spielt«, meinte Natalon, nachdem er ein Weilchen gelauscht hatte.
Dalor, der im Schatten seiner Eltern herumlungerte, und sichtlich nicht wusste, wie er sich verhalten sollte, entspannte sich bei den Worten seines Vaters.
»Sie hat wirklich Talent«, pflichtete er bei und bedachte Kindan mit einem halb dankbaren, halb war-nenden Blick. Kindan nickte zum Zeichen, dass er den Wink verstand.
»Ich muss mich jetzt wieder meinen Pflichten wid-men«, erklärte Kindan. Er deutete eine Verbeugung an und hastete zum Podium zurück.
Als Nuellas Melodie endete, raunte Kindan ihr zu:
»Alles hat bestens geklappt.«
»Nach allem, was ich hören konnte, musstest du dich reichlich anstrengen, damit es nicht zu einem unliebsamen Auftritt kam«, flüsterte sie. Kindan errötete bei dem Gedanken, dass sie seine Worte mitbekommen hatte.
Zerknirscht kehrte er sein Gesicht wieder den Gästen zu. Allmählich machte
Weitere Kostenlose Bücher