Drachenwege
ihm bei. »Du musst dem Jungwher beibringen, was mit ganz bestimmten Tonfolgen gemeint ist. Benutzt man bei jedem Wachwher immer die gleichen Laute? Sind sie etwa festgelegt?«
»Ich weiß es nicht«, bekannte der Junge.
Der Harfner richtete den Blick ins Leere und rührte mit langsamen Bewegungen in seiner Suppenschale.
»Nun ja, Hauptsache, Aleesa hat dir das Ei mitgegeben.
Alles Weitere wird sich schon irgendwie ergeben. M'tal ist unser Verbündeter, und in Burg Benden gibt es auch Wachwhere. Wenn du dir keine Blöße geben willst, kann man die Fragen so geschickt formulieren, dass man die richtigen Antworten bekommt, ohne dass jemandem unsere Unkenntnis auffällt.«
In diesem Moment hätte Kindan seinen Lehrer am liebsten umarmt. Immer noch fühlte er sich überglücklich, weil er sich nun endlich im Besitz eines Wachwher-eis befand. Den Rest seiner Suppe tunkte er mit einer dicken Scheibe Brot auf. Dann brachte er Schale und Löffel zum Spülstein.
»Ich spüle das Geschirr ab, wenn ich zurückkomme.
Aber zuerst möchte ich prüfen, ob die Ziegelsteine, auf denen das Nest mit dem Ei liegt, noch warm genug sind«, erklärte er und verließ das Cottage.
* * *
Von nun an war das Hegen des Wachwhereis seine Hauptbeschäftigung und füllte seine gesamte Zeit aus.
Des Nachts schlief er in dem Stall, eingewickelt in sein abgewetztes Schlaffell. Mitten in der Nacht schreckte er mehrmals hoch und stand rasch auf, um sich davon zu überzeugen, dass das Nest nicht auskühlte. Jederzeit konnte der Wachwher die Eischale sprengen und schlüpfen. Kindan hatte einen Vorrat von Hafer angelegt, und hinten auf dem Herd köchelte in einem großen Kessel bereits der Brei. In der Kühltruhe stand ein Eimer mit Blut. Natalon hatte angewiesen, dass man Kindan alles zur Verfügung stellte, was dieser für den jungen Wachwher verlangte.
Am ersten Abend nach ihrer Rückkehr schaute Zenor nach der Tagschicht kurz bei Kindan vorbei, weil er das Ei sehen wollte. Seine Miene drückte ehrfürchtiges Staunen aus, wie Kindan voller Genugtuung bemerkte.
Bei der Reaktion seines Freundes wurde ihm ganz warm ums Herz. Sicher, von Zenor hatte er Loyalität erwartet, doch als er merkte, wie tief beeindruckt er war, zerstreuten sich selbst seine geheimen Befürchtungen über die Reaktionen der anderen Campbewohner ein wenig.
Ständig durchforstete er seine Erinnerungen nach Bemerkungen, die sein Vater über die Pflege eines Wachwhers geäußert hatte. Und er tröstete sich mit dem Gedanken, dass ihm die richtigen Laute und Gebärden, um sich mit diesem Tier zu verständigen, wie von selbst eingefallen waren. Die erste Hürde hatte er genommen, indem er das Ei ins Camp gebracht hatte. Er musste es nur gut warm halten, damit der Jungwher schlüpfte.
»Wann ist es so weit?«, fragte Zenor und betrachtete mit glänzenden Augen das Ei.
»Meisterin Aleesa meinte, binnen einer Siebenspanne müsste er schlüpfen«, erwiderte Kindan mit gespielter Gleichgültigkeit, obwohl er innerlich vielleicht noch aufgewühlter war als Zenor. »Könntest du mir Kohlen bringen, damit ich die Ziegel erhitzen kann? Der Vorrat ist fast aufgebraucht.«
»Selbstverständlich«, antwortete Zenor und flitzte sogleich los.
Kindan strich mit der Hand über das Ei, dann tastete er die Ziegel ab, um festzustellen, welche erwärmt werden mussten.
Mit einer Zange holte er die frisch erhitzten Ziegel aus dem Feuer und legte die ausgekühlten darauf, als Zenor mit einer Schubkarre voller Kohle zurückkam.
Unter der schweren Last taumelnd und übertrieben laut keuchend kippte er die Karre in der Nähe des Feuers aus.
»Danke, Zenor. Ich weiß deine Hilfe zu schätzen.«
»Darf ich dabei sein, wenn der Jungwher schlüpft?«, bettelte Zenor.
»Es ist nicht so wie das Schlüpfen eines Drachen«, gab Kindan zu bedenken, der diesen bedeutsamen Augenblick am liebsten allein erleben wollte. »Es gibt keine Gegenüberstellung, bei der das Tier sich einen menschlichen Partner erwählt.«
»Bitte, bitte, Kindan«, jammerte Zenor.
»Na ja, ich werde versuchen, dich zu benachrichtigen, aber versprechen kann ich es nicht. Schließlich könntest du gerade auf Schicht sein, wenn der Jungwher die Eischale sprengt.«
»Wenn es sich einrichten lässt, dann lass mich zu-
schauen, Kindan. Ich bringe dir auch so viel Kohle, wie du brauchst.«
»In Ordnung«, gab Kindan widerstrebend nach. Aber schließlich war Zenor sein bester Freund. »Bleibst du ein Weilchen hier, während ich
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