Drachenwege
machte er mir klar, dass aus mir nie ein begnadeter Sänger werden würde. Das Talent reichte nicht aus.«
Jofri legte eine längere Pause ein und erklärte dann:
»Meister Zist vermag schon bei einem Kind zu erkennen, wie sich die Stimme später entwickeln wird. So weit ich weiß, hat er sich noch nie geirrt. Wenn er einem Knaben prophezeit, er würde einmal einen guten Tenor abgeben, dann kann man sich darauf verlassen, dass er Recht behält. Sagt er, ein Junge käme nie über einen schlechten Bariton hinaus - nun, dann sucht er nach Wegen, um dem Buben zu einer anderen Karriere zu verhelfen.«
Er bückte sich und schaute Kindan direkt ins Gesicht.
»Meister Zist hat schwere Zeiten durchgemacht.«
Plötzlich hatte Kindan das Gefühl, Jofri vertraue ihm ein Geheimnis an, und ihm stockte der Atem. »Aber er ist ein guter Mensch, einer der Besten. Du wirst auf ihn hören und lernen, was er dir aufträgt. Einverstanden?«
Jofri zwinkerte Kindan schelmisch zu. »Und auf die Streiche, die du mir gespielt hast, fällt er ohnehin nicht herein. Versprichst du mir, dass du ein fleißiger Schüler sein wirst?«
Kindan nickte, obwohl er im Grunde seines Herzens
nicht recht wusste, was da auf ihn zukäme, und eine gesunde Portion Skepsis beibehielt. Jofri richtete sich wieder auf und zerzauste Kindans ohnehin schon
strubbeliges Haar. Kindan fragte sich, wieso jeder plötzlich den Wunsch verspürte, an seinen Haaren zu ziehen. Vielleicht, weil sie sauberer waren als sonst, und die Leute sich nicht scheuten, mit ihren Fingern hindurch zu fahren.
»Aha, da kommen ja noch mehr, um Lebewohl zu
sagen«, sagte Jofri, als eine Gruppe von Leuten auf sie zu steuerte.
Kindan stellte sich an die Seite seiner Schwester, derweil sein Vater und seine sechs Brüder sowie Steiger Natalon und seine Frau mitsamt ihrem Sohn Dalor eintrafen. Außerdem befanden sich in dem Trüppchen Tarik und Cristov.
Jakris und Tofir waren noch so schläfrig, dass sie unentwegt gähnten, Kaylek jedoch musterte Kindan mit wütenden Blicken.
»Wir wollten uns von euch verabschieden«, erklärte Danil und streckte Terregar die Hand entgegen.
Terregar nahm die Hand seines Schwiegervaters; den freien Arm legte er um Silstras Taille und zog sie eng an sich heran. »Ich passe gut auf deine Tochter auf, Danil«, versprach er feierlich.
»Davon bin ich überzeugt«, erwiderte Danil aus
vollem Herzen. Er schien noch mehr sagen zu wollen, doch dann kniff er die Lippen zusammen und bedeutete Silstras Brüdern, mit dem Abschiednehmen zu beginnen.
Zum Schluss kamen Natalon und seine Familie an die Reihe. Silstra drückte Jenella fest an sich, und die beiden Frauen wünschten einander das Beste. Natalon nahm Silstra kurz in die Arme und murmelte ihr ein paar Worte ins Ohr, die Kindan nicht verstehen konnte.
Dann traten Tarik und sein Sohn Cristov vor. Kindan wunderte sich nicht, dass dieser Abschied recht kühl ausfiel. Silstra hatte den mürrischen Kumpel noch nie leiden können.
Endlich war die Karawane zum Aufbruch bereit.
Veran winkte den Bergarbeitern noch einmal fröhlich zu und gab dem Treck das Zeichen, mit dem Abmarsch zu beginnen. Schwerfällig klabasterten die massigen
Zugtiere den serpentinenreichen Weg hinunter, der um den See führte und bei Burg Crom endete.
Kindan sah den Wagen hinterher, bis sie seinem
Blickfeld entschwanden, und nur noch eine lange Staub-fahne ihre Passage markierte.
»So«, sagte Danil leise, »das war's dann.«
Natalon schlug ihm derb auf die Schulter. »Jawohl, das war's.«
Danil wandte sich zu ihm und erklärte in ernsthaftem Ton: »Steiger Natalon, ich möchte dir danken, dass du die Hochzeit meiner Tochter in dieser großzügigen Art und Weise ausgerichtet hast.«
Natalon nickte und nahm die gleiche förmliche Haltung an. »Danil, es war mir eine Ehre.« Er legte eine Pause ein, dann fügte er energisch hinzu: »Und jetzt müssen wir in die Grube einfahren. Auf uns wartet viel Arbeit.«
Kapitel 3
Wachwher, Wachwher, halte Wacht,
Beschütz uns in der finstren Nacht!
Und wenn endlich graut der Morgen,
Sind zu Ende deine Sorgen.
Nachdem ein paar Monate vergangen waren, kam es
Kindan vor, als hätte sich im Wesentlichen kaum etwas geändert. Er übte immer noch dieselben Pflichten aus.
Der Harfner erteilte ihm nach wie vor Unterricht, und Kaylek piesackte ihn, wann immer sich ihm eine Gelegenheit bot. Wenn man ihn nicht für Botengänge heranzog, musste er auf der Hügelkuppe Wache schieben.
Doch wenn
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