Drachenwege
die Mittagsstunde kehre ich zurück.
Bis dahin sollte unser junge Bursche hier versuchen, ein bisschen zu schlafen.«
»Ich bin gar nicht müde, mein Lord«, log Kindan beherzt, obwohl es ihm schwer fiel, die Augen offen zu halten.
*
Kaum hatte Kindan sich ins Bett gelegt, da schlummerte er auch schon ein. Die geschlossenen Fensterlä-
den sorgten dafür, dass er nicht durch das Tageslicht gestört wurde. Er wachte auf, als sich auf dem Gang vor seinem Zimmer zwei Männer mit gedämpften Stimmen unterhielten.
»Sie sind ganz anders als Drachen, weißt du«, hörte er M'tal flüstern.
»Das dachte ich mir schon«, antwortete Meister Zist.
»Aber sie sind auch nicht wie Feuerdrachen. Bis auf ein paar schlichte Liedchen gibt es kaum überliefertes Wissen, wie sie zu behandeln sind. Wir betreten hier absolutes Neuland, scheint es mir«
»Vielleicht kann man von Meisterin Aleesa etwas lernen«, sagte M'tal.
Zist schnaubte wütend durch die Nase. »Ganz bestimmt, wenn Natalon es nur zulassen würde.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass er dich, einen Harfner, daran hindert, von Aleesas Wissen zu profitieren.«
»Er wird es mir nicht verbieten, bei ihr in die Lehre zu gehen«, räumte Zist ein. »Aber er dürfte sich sehr wundern, warum ich mich an Meisterin Aleesa wende, wenn ich doch einen Experten auf diesem Gebiet in meinem Haus beherberge.«
»Du meinst den Jungen?«, staunte M'tal.
»Sein Vater war der letzte Wachwher-Führer in diesem Camp«, erklärte Zist. »Natalon weiß nicht mehr ein noch aus. Er hat sich in die Vorstellung verrannt, Danil hätte Kindan alles beigebracht, was man über den Umgang mit einem Wachwher wissen muss. Immerhin durfte Kindan das Tier pflegen, und daraus schließt Natalon, dass der Junge seine neue Aufgabe meistert.«
M'tal lachte leise. »Nun ja, die Pflege meines Drachens nimmt auch einen großen Teil meiner Zeit in Anspruch. Kein Wunder, wenn man jeden Quadratzentimeter seiner Haut ständig mit Öl einreiben muss. Ich kann mir also gut vorstellen, wieso euer Obersteiger glaubt, der Junge sei mit allem vertraut, was er mit einem Wachwher zu tun hat.«
M'tal legte eine kurze Pause ein, dann sprach er in nachdenklichem Ton weiter. »Um einen Drachen für sich zu gewinnen, ist Kindan noch viel zu jung. Wenn man davon ausgeht, dass ein Wachwher mit einem Drachen oder auch nur einer Feuerechse zu vergleichen ist, dann bin ich ziemlich skeptisch, ob er von einem Wachwher überhaupt als menschlicher Partner akzeptiert wird.«
Zist stieß einen Seufzer aus. »Es muss aber klappen.
Wenn es Kindan nicht gelingt, einen Wachwher auf sich zu prägen, bedeutet das den Niedergang für Camp Natalon, und man wird dem Knaben die Schuld dafür
geben.«
»Für einen so jungen Burschen scheint mir das eine sehr schwere Verantwortung zu sein«, bemerkte M'tal.
»Zum Glück hat Kindan breite Schultern«, gab Meister Zist zurück. »Sie dürften stark genug sein, um die Last zu tragen.«
Kindan, der lauschend in seinem Bett lag, schwor
sich, seiner Aufgabe gerecht zu werden.
Kapitel 7
Wachwher, in den finstren Gängen,
Bewahr mich vor des Todes Fängen.
Führe sicher mich zu Tage,
Dass niemand meinen Tod beklage.
Im Dazwischen befindet man sich nur so lange, wie
es dauert, um dreimal zu husten«, klärte M'tal seine Passagiere auf, während er ihnen half, auf den Rücken des Bronzedrachens Gaminth zu klettern.
»Dreimal husten?«, wiederholte Natalon. Er hüstelte probehalber. »So etwa?«
Kindan war froh, dass der Steiger die Frage stellte. Er selbst wäre dazu viel zu schüchtern gewesen.
»Und in Anbetracht der besonderen Umstände
dauerte es nicht länger?«, vergewisserte sich Meister Zist mit einem sonderbaren Ausdruck in den Augen.
M'tal schüttelte energisch den Kopf. »Nein, es ist im Nu vorüber. Wir werden rechtzeitig vor Ablauf der
vereinbarten Frist eintreffen.«
»Ich begreife nicht, wie das möglich sein soll«,
knurrte Natalon.
»Ach«, erwiderte M'tal obenhin und schmunzelte in
sich hinein. »Ein Drache ist schneller, als man denkt.«
*
Als alle auf Gaminths breitem Rücken Platz
genommen hatten, prüfte M'tal ein letztes Mal, ob seine Passagiere auch sicher saßen, ehe er seinem Drachen zurief: »Es kann losgehen, Gaminth!«
Der riesige Drache sprang in die Luft, schwebte im Gleitflug auf das Camp zu und gewann dann mit
wuchtigen Schwingenschlägen an Höhe.
In gemächlichem Tempo kreiste der Drache am Himmel, wobei jede Drehung ihn höher
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