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Drachenwege

Drachenwege

Titel: Drachenwege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne McCaffrey
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würde.
    Während Kindan diese Überlegungen durch den Kopf
    gingen, pfiff und tirilierte er nach Kräften, in dem Versuch, sich der Königin mitzuteilen. Der Wachwher starrte aus weit geöffneten Augen den Jungen an. Un-versehens musste Kindan gähnen, denn von den An-strengungen der letzten Tage war er immer noch ausgelaugt.
    »Entschuldige bitte«, sagte er kleinlaut, denn er
    fürchtete, er könnte die Königin beleidigt haben. »Aber ich bin sehr müde. Um rechtzeitig hier einzutreffen, mussten wir in der Zeit zurückspringen, und - na ja, offen gestanden habe ich ein bisschen Angst.«
    Er verneigte sich vor ihr und erzeugte in seinem Geist das Bild von Gaminth, wie er mit seinen Passagieren auf dem Rücken durch die Zeit sprang.
    Die Königin stieß ein überraschtes Zirpen aus, und Kindan gewann den Eindruck, dass sie in seinen Gedanken zu lesen vermochte und das Bild empfing. Den Blick unverwandt auf den Jungen geheftet, hob sie einen Flügel. Kindan stieß einen keuchenden Schrei aus, als er die matt glänzenden Eier sah.
    »Ach, sind die schön!«, rief er begeistert. In seinem Eifer wollte er sich über das Gelege beugen, doch im letzten Moment fiel ihm ein, dass die Königin es nicht jedem erlaubte, ihrer Brut zu nahe zu kommen. Rasch zog er seine bereits ausgestreckten Hände wieder zu-rück.
    Dies waren gewiss keine Dracheneier - wenn man
    sich auf die Lehrballaden, die Kindan hatte auswendig lernen müssen, verlassen durfte. Sie waren nur halb so groß wie die Eier einer Drachenkönigin und wiesen Runzeln auf. Ein Ei war sogar von einer Art Kranz umgeben, der auf der Schale aufsaß wie ein Halsband. »So etwas Herrliches habe ich noch nie gesehen«, wisperte er andächtig.
    Vor Schreck wäre er beinahe in das Gelege gefallen, als die Königin mit einem jähen Ruck die Schwinge
    hochhob und sie nach oben klappte, bis sie ihren
    Rücken bedeckte. Der Rücken eines Wachwhers war
    glatt, weil die vorspringenden Höcker fehlten, die den Drachen eigneten. Vermutlich saß man auf einem
    Wachwher ziemlich bequem, behaglicher zumindest als auf einem Drachen. Falls man überhaupt auf einem
    Wachwher reiten konnte.
    Sein Vater hatte sich gelegentlich auf Dasks Rücken geschwungen, an den Abenden, an denen die Luft so
    schwer war, dass ein Wachwher mühelos fliegen konn-te. Normalerweise blieben diese Kreaturen auf dem
    Boden, da es für sie zu anstrengend war, sich in die Lüfte zu erheben, vor allen Dingen, wenn sie einen Reiter trugen. Aber Kindan hatte mit eigenen Augen gesehen, dass es möglich war, auf einem Wachwher zu reiten wie auf einem Drachen.
    Seine Gedanken kehrten in die Gegenwart zurück,
    und er merkte, dass die Königin ihre abwehrende
    Haltung aufgab. Er machte ein fragendes Geräusch, und mit einer Anmut, die Kindan diesem uneleganten,
    kompakten Geschöpf niemals zugetraut hätte, winkte die Königin mit einer Schwingenspitze und zeigte zuerst auf ihn und dann auf das Gelege.
    »Soll das heißen, dass ich mir ein Ei aussuchen
    darf?«, vergewisserte er sich atemlos. Behutsam streckte er seine Hand aus.
    Die Königin leckte die Hand mit ihrer trockenen,
    rauen Zuge, ehe sie ihm den Kopf zuneigte und dann mit dem Maul auf die Eier wies.
    »Das ist zu gütig, meine Wachwherkönigin«, bedankte er sich demütig und gab ein melodiöses Trällern von sich. Er vermochte sein Glück kaum zu fassen.
    »Soll ich kommen und dich retten? Brauchst du vielleicht Hilfe?«, rief Aleesa von draußen.
    »Sie hat mir ihr Gelege gezeigt«, gab Kindan mit ge-dämpfter Stimme zurück.
    »Das bedeutet, dass sie dir eines ihrer Eier überlässt, junger Mann. Such dir eins aus, verabschiede dich von der Königin und verlass die Brutstätte. Hier warten noch andere Bewerber, die ihr Glück versuchen wollen.«
    Bei der Vorstellung, tatsächlich ein Wachwherei mit nach Hause nehmen zu dürfen, schnürte sich Kindans Kehle zusammen. Doch für welches sollte er sich entscheiden? Er zögerte, bis ihm ein Abzählreim für Kinder einfiel. Nun, warum nicht? Mit dem Finger auf die einzelnen Eier des Geleges zeigend, skandierte er: »Eins, zwei, drei, alt ist nicht neu, neu ist nicht alt, heiß ist nicht kalt, kalt ist nicht heiß, schwarz ist nicht weiß, hier ist nicht dort, du musst jetzt fort!
    Eins, zwei, drei, du bist frei, vier, fünf, sechs, du bist weg, sieben, acht, neun, du musst es sein!«
    Sein Finger deutete auf das Ei mit dem sonderbar aufgewölbten Kranz.
    Er umschlang es mit beiden Armen. Es wog mehr, als er

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