Drachenzauber
den Mund gepresst, bevor sie auch nur einen Gedanken daran verschwenden konnte zu schreien. Sie strampelte und wollte ihm erklären, dass er ein lausiger, verkommener Schleimbeutel sei, aber sein Griff war fest. Er beugte sich zu ihr herab und flüsterte eindringlich: »Keinen Ton, Olivia, wenn dir dein Leben lieb ist!«
Sie hörte auf zu strampeln und sah ihn mit aufgerissenen Augen an. Woher kannte er ihren Namen? Was ging hier vor?
Caradoc lockerte seinen Griff ein wenig und nickte, als sie still blieb.
»Gut. Und jetzt verrätst du mir am besten, was du hier eigentlich treibst.«
Olivia sah ihn wütend an. »Ich verrate dir gar nichts. Du arbeitest für diese böse Hexe. Und ich hoffe, dass Merlin dich in einen Mistkäfer verwandelt, wenn er kommt!«
Caradoc lachte und klopfte Olivia auf den Rücken. »Gut gesagt! Aber ich bin nicht der, für den du mich hältst. Ich arbeite für Merlin.«
»Merlin!«, sagte Olivia überrascht. »Aber – wir haben dich gesehen – du warst hier, in ihren Gemächern! Zusammen mit den Verschwörern!«
Caradoc legte die Stirn in Falten. »Du hast uns also belauscht, wie? Nun ja, es stimmt. Ich war ganz offensichtlich hier, mit den Verschwörern. Und ich habe mein Bestes gegeben, um Lady Morganas Vertrauen zu gewinnen. Dennoch gehöre ich immer noch nicht zu ihrem engsten Kreis. Es ist noch ein langer Weg, bis ich genau weiß, was hier gespielt wird. Aus diesem Grund bin ich hier. Jetzt. Wo sie nicht hier ist.«
»Ich auch«, sagte Olivia. »Aber wie kommt es, dass ich wieder in ein Mädchen zurückverwandelt wurde? In der Wand war ich noch eine Ratte ...«
»Ach so. Die Kammer ist verhext«, sagte Caradoc.»Sie bannt jeden Zauber. Bei mir war es genauso.« Er lächelte reumütig. »Ich habe einen Trank benutzt, den Merlin mir gegeben hat, um mich in einen Spatzen zu verwandeln. Du hast vielleicht den Lärm gehört, als ich zurückverwandelt wurde und vom Fensterbrett gefallen bin.«
Olivia grinste. »Das war also der Krach. Na ja, vermutlich sind Hände beim Stöbern von größerem Nutzen als Flügel. Hast du etwas gefunden?«
Caradoc schüttelte den Kopf. »Nein. Aber wenn es etwas zu finden gibt, dann hier in diesem Schrank. Er hat einen merkwürdigen Verriegelungszauber. Ich habe gerade versucht, ihn zu entschlüsseln, als du gekommen bist.« Er ging zu dem großen und schmalen Schrank mit den dunklen, verzierten Eichentüren.
»Du bist also Zauberer und Barde?«, fragte Olivia.
Caradoc lachte. »Oh, ein bisschen Zauberer und ein bisschen Barde. Und – ein bisschen Ritter«, sagte er und legte den Finger an seine lange, krumme Nase. »Aber meistens bin ich das, was Merlin sich wünscht. Was immer gerade gebraucht wird. Caradoc ist nicht mein richtiger Name. Aber – vielleicht sollte ich es einstweilen dabei belassen. Caradoc der Barde, stets zu Ihren Diensten, werte Dame.« Er verbeugte sich elegant.
Olivia verzog das Gesicht. »Ich bin keine Dame. Ich bin ein Knappe. Und ich werde auch mal Ritter.«
»Genau«, sagte Caradoc ernst. »Das hatte ich vergessen.« Er wandte sich wieder dem Schrank zu und strich mit seltsam verdrehten Händen über das Holz. »Da. Er ist offen. Sollen wir mal einen Blick hineinwagen?«
Vorsichtig öffnete er die beiden hohen, schmalen Türen, und sie starrten hinein. Im Schrank gab es mehrere Regalbretter voller Töpfe, Zaubertränke und Flakons in allen Farben. Sie glitzerten wie Diamanten. In der Mitte gab es drei Schubladen. Nachdem Caradoc einen Blick auf die Zaubertränke geworfen hatte, zog er sie eine nach der anderen heraus. Sie waren vollgestopft mit cremefarbenen Pergamentrollen, die mit Bändern zusammengebunden waren. Daran hingen kleine Päckchen mit hellen farbigen Pudern. Eine offene Rolle lag achtlos auf dem Haufen, als wäre sie erst kürzlich dort liegen gelassen worden. Olivia und Caradoc tauschten einen Blick. Dann nahm er das Pergament und begann zu lesen.
»Soso, ein Kopierzauber ... ganz schön gerissen. So wollen sie es also machen«, murmelte er. »Das könnte sich als nützlich erweisen.« Wie aus dem Nichts zoger ein Stück Pergament und eine Feder hervor und begann, den Spruch abzuschreiben. Er nahm auch ein paar Körner von dem Puder und verstaute sie sorgfältig in einem Pergamentbriefchen. Dann rollte er das Original auf, legte es zurück in den Schrank und fuhr mit seinen Händen wieder über die Schranktüren, um den Verriegelungszauber zu erneuern. Ein paar Sekunden lang stand er nachdenklich da.
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