Drachenzauber
Geheimnis anzuvertrauen. Und ich war noch nicht bereit, der ganzen Welt zu verkünden, dass es immer noch Drachen gab.
Tisala hätte es tun können, aber ich musste mich meinen Ängsten stellen.
»Also gut«, sagte ich und hoffte, dass meine Stimme nicht zitterte.
»Wo geht Ihr hin?«, fragte Rosem, und heftiges Missrauen ließ seine Stimme eine halbe Oktave heller werden.
»Ich werde Oreg helfen«, erklärte ich und folgte ihm in den Wald.
Nachdem wir uns genügend weit entfernt hatten, um zu verbergen, was er tat, verwandelte sich Oreg in den Drachen. Im Dunkeln konnte ich nicht viel von ihm erkennen, aber selbst in meiner Angst empfand ich die vertraute Ehrfurcht darüber, dass ein so wunderschönes Geschöpf immer noch auf Erden wandelte.
»Steig auf«, flüsterte er wie das Rascheln der gelben und roten Blätter der Herbstbäume.
Ich hatte bisher nur zweimal auf einem Drachen-rücken gesessen. Es schien eine sehr persönliche Sache zu sein, also bat ich nie darum und tat es nur, wenn er es mir anbot. Bei all dem Adrenalin, das von dem Wissen kam, wohin wir fliegen würden, und der generellen Aufregung eines Ritts befürchtete ich, mir könnte übel werden.
Ich legte die Hand auf Oregs kühle und überraschend weiche Nackenschuppen und kletterte auf seine Schulter, wobei ich vorsichtig der zarten Haut seiner Flügel auswich. Nachdem ich mich hinter seinem Hals, aber noch vor den Flügeln niedergelassen hatte, sprang Oreg in die Luft.
Ich war nie nachts geflogen, und die klaffende Dunkelheit drunten beunruhigte mich mehr, als es der Anblick der winzigen Gebäude und Flickwerk-felder getan hatte. Es war etwas Erschreckendes an der Dunkelheit, und ich war froh, als wir die Stadt erreichten.
Als Oreg mich zum ersten Mal mit auf einen Flug genommen hatte, hatte ich gefragt, ob uns niemand sehen könne. Er hatte geantwortet, niemand sehe einen Drachen, es sei denn, der Drache wolle gesehen werden. Die Wachen am Stadttor blickten nicht auf, als wir über sie hinwegflogen.
Estian leuchtete von tausend Fackeln, als wir näher kamen. Von oben gesehen schienen die verwir-renden Windungen der Hauptstraßen, die vom Palast aus spiralförmig ausgingen, ein Muster zu haben. Ich konnte erkennen, welche Straßen in früheren Zeiten abgesperrt oder neu gebaut worden waren, aber der ursprüngliche Entwurf der Stadt hatte seinen Mittel-punkt an einem Ort nicht weit vom derzeitigen Schloss, wo sich nun ein Marktplatz befand.
Ich konnte die niedrigen Steinmauern des Markts erkennen, auf denen am Tag Kinder hockten, um ihre Fleischpasteten oder Bratäpfel zu essen. Von oben wirkte das Muster der Mauern wie eine dreitürmige Burg, und ich fragte mich, vor wie langer Zeit diese Burg zerstört worden war.
Oreg ging plötzlich in den Sturzflug und brachte uns direkt hinter das Asyl in einen kleinen Park, der zum Haus eines reichen Kaufmanns gehörte. Ich schlüpfte von seinem Rücken, und er nahm wieder Menschengestalt an.
»Ich muss uns hineintransportieren«, sagte er.
Ich nickte. Er trat hinter mich und legte mir die Hände auf die Schultern. Hurog-Magie, Drachenmagie durchflutete mich und blockierte meine Sinne für alles andere außer ihrer Gegenwart. Als ich wieder sehen konnte, befanden wir uns in einer Zelle im Asyl. Der Gestank dieses Orts bewirkte, dass sich mir die Nackenhaare sträubten, also konzentrierte ich mich auf andere Dinge.
Ein kalt leuchtendes kristallenes Magierlicht hing an der Decke, zu weit entfernt, als dass der Bewohner der Zelle es erreichen und zudecken konnte, um sich ein wenig Abgeschiedenheit zu verschaffen.
Wachen konnten jederzeit durch den Schlitz in der Tür schauen und die gesamte kleine Zelle überbli-cken. Plötzlich fiel mir ein, dass das Labor auf die gleiche Weise beleuchtet gewesen war.
»Ward?«, sagte Kellen, der auf der Bank saß.
Ich wandte mich von der Tür ab und sank auf ein Knie. Oreg blieb, wie ich bemerkte, stehen. »Herr.«
Kellen stand auf und kam zu mir. Ich biss mir auf die Lippe, um meine Sorge nicht auszusprechen - ich hatte schon gesündere Männer als ihn verhungern sehen.
»Sie haben Euch also rausgeholt.«
Ich konnte nichts an seiner Stimme wahrnehmen, aber ich fragte mich, wie es sein würde, ein Jahrzehnt eingesperrt gewesen zu sein und dann freigelassen zu werden. Ein Mann, der so lange gefangen gewesen war, würde seine Angst sehr gut verbergen können, aber das bedeutete nicht, dass er keine empfand.
»Ja, Herr. Und wir sind hergekommen, um Euch zu
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