Drachenzauber
befreien, wie wir es schon lange hätten tun sollen.«
Er winkte ab bei meiner Entschuldigung und begann, leise murmelnd auf und ab zu gehen. Jeder Augenblick erhöhte die Gefahr, dass wir die Aufmerksamkeit der Wache erregten, aber ich schwieg.
Schließlich wandte er sich Oreg zu und sagte:
»Nach dem, was Rosem mir gesagt hat, müsst Ihr der Zauberer Oreg sein. Könnt Ihr dieses Brett zerstören?« Er deutete auf das Brett, das ihm als Bank, Bett und als Spielbrett gedient hatte »Ich möchte es nicht zurücklassen.«
Oreg nickte. Mit dem Messer schnitt er einen Splitter von dem Holz ab und nahm ihn in die Hand.
Er schloss die Faust darum, dann wischte er sich den Staub von der Handfläche, während die Bank sich in dunkelgrauen Mulch auflöste.
Kellen starrte den Mulch an, als hätte das grob bearbeitete Brett ihm viel bedeutet. Er atmete schwer, und ich konnte sehen, wie der Pulsschlag an seinem Hals zuckte. »Ich bin bereit.«
»Ich kann Euch nicht auf dem gleichen Weg nach draußen bringen, wie wir hereingekommen sind«, sagte Oreg. »Menschen zu transportieren ist beinahe unmöglich, wenn die Person, die ich trage, mir nicht vertraut.«
»Was schlägst du also vor?«, fragte ich und stand auf, da Kellen nicht mehr auf mich achtete.
»Fliegen.« Oreg deutete auf die Steinmauer zwischen uns und der Außenwelt. Ich konnte spüren, wie er die Angst nutzte, mit denen die Gefangenen des Asyls die Mauern getränkt hatten. Oreg nahm das wortlose Sehnen eines jeden Gefangenen und verlieh ihm Gestalt, als die Mauer zu reißen begann und große Steine auf den Boden fielen.
Es war gut, dass sich Kellens Zelle im höchsten Stockwerk befand, dachte ich und schaute über den Rand zum Boden drunten, sonst hätte Oreg vielleicht das gesamte Gebäude zum Einsturz gebracht.
Am Ende war das Loch in der Wand mehr als groß genug für einen Drachen, obwohl Oreg dazu auch noch die Wand neben uns herausreißen musste. Die Nachbarzelle war entweder leer, oder ihr Bewohner war von herunterfallenden Steinen erschlagen worden. Ich schaute näher hin und stellte erleichtert fest, dass kein Stroh auf dem Boden lag.
Ich wandte mich wieder Kellen zu, aber er hatte sich in eine Ecke geduckt, so weit entfernt von der herausgebrochenen Außenwand, wie es ging. Ich sah Oreg an, aber er schüttelte den Kopf und machte eine Geste zu mir.
Mein alter Stallmeister hatte Pferde nie gerne länger als einen oder zwei Tage im Stall gelassen. Er erzählte mir einmal von einem Tier, das von dem Augenblick seiner Geburt bis zu den Tag, an dem seine Ausbildung beginnen sollte, im Stall gehalten worden war. Es hatte vier Männer gebraucht, es aus seiner Box zu zerren.
Der Steinschlag war laut gewesen; jemand würde bald kommen und nach Kellen sehen.
Wir hatten keine Zeit, ihn lange zu überreden. Ich erinnerte mich daran, wie beunruhigend ich die Dunkelheit unter Oregs Flügeln gefunden hatte, und schnitt mit dem Messer einen Streifen Stoff von meinem Hemdsaum.
»Ganz ruhig«, sagte ich und wickelte die behelfsmäßige Augenbinde um Kellens Kopf. »Es ist nur der Schock. Mein Drache und ich werden Euch in Sicherheit bringen, und alles wird gut.«
Oreg nahm aufs Stichwort seine Drachengestalt an. Ich hörte die Geräusche von Wachen im Flur, die zweifellos den Lärm der einstürzenden Mauern bemerkt hatten.
Wie bei Pferden beruhigte die Augenbinde auch Kellen. Er sagte nichts, als ich von dem Drachen sprach. Ich glaube, er konzentrierte sich zu sehr darauf, seine Rettung zu überleben, um sich noch wegen legendärer Geschöpfe Gedanken zu machen. Mit meiner Hilfe kletterte Kellen auf Oregs Rücken. Ich setzte mich hinter ihn, um ihn festzuhalten. Oreg schlurfte ungeschickt zum Rand des Raums und sprang.
Ich fürchtete schon, wir würden landen müssen, aber drei rasche Flügelschläge brachten uns in die Luft.
Als wir uns Menogue näherten, sagte ich: »Oreg, kannst du uns an eine Stelle bringen, wo Kellen sich ein wenig erholen kann, bevor wir uns mit den anderen treffen?«
Oreg bewegte zur Antwort die Flügelspitzen. Er brachte uns zur anderen Seite von Menogue und landete auf einer Lichtung, wo jemand vor langer Zeit einen kleinen Teich mit Steinen eingefasst hatte. Das Licht des Vollmonds beleuchtete unsere Umgebung.
Ich nahm Kellen die Augenbinde ab und rutschte von Oregs Schultern auf den Boden. Nach kurzem Zögern folgte Kellen ebenfalls. Als wir sicher abgestiegen waren, rollte Oreg sich zusammen und legte den großen Kopf auf
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