Dracula, my love - das geheime Tagebuch der Mina Harker
kleine Fläschchen mit Weihwasser und geweihte Hostien.
Das machte mich äußerst unruhig, aber ich wollte sie bei ihrer Arbeit nicht behindern, weil ich fürchtete, dass sie mich sonst
in Zukunft ganz von ihren Beratungen ausschließen würden. Also blieb ich zumindest |267| nach außen hin gefasst und machte so viele hilfreiche Vorschläge, wie ich nur konnte.
Als die Männer um drei Uhr morgens gerade das Haus verlassen wollten, brachte man Dr. Seward eine dringende Botschaft von
Herrn Renfield, er möge sofort zu ihm kommen.
»Sagen Sie Herrn Renfield, dass ich ihn am Morgen besuchen werde«, bedeutete Dr. Seward dem Wärter.
Der blieb jedoch dabei, er hätte Herrn Renfield noch nie so ungeduldig gesehen. »Wenn Sie nicht gleich mit ihm reden, Sir,
dann bekommt er vielleicht wieder einen seiner Tobsuchtsanfälle.«
Nach einigem Zögern erklärte sich Dr. Seward bereit, zu Herrn Renfield zu gehen. Alle anderen waren neugierig geworden und
begleiteten ihn. Mir bedeutete man, ich sollte zurückbleiben.
Während ich in Dr. Sewards Studierzimmer wartete, hörte ich vom anderen Ende des Korridors undeutlich Gespräche und eine lange
und leidenschaftliche Erwiderung vonseiten Herrn Renfields. Dann begann Herr Renfield zu schreien. Wahrscheinlich hatte gerade
jemand die Tür seines Krankenzimmers aufgestoßen, denn nun verstand ich seine Worte.
»Hören Sie mich! Hören Sie mich! Lassen Sie mich gehen! Lassen Sie mich gehen!«
Wenige Minuten später tauchten die Männer wieder auf. »Was ist mit ihm los?«, fragte ich.
»Er will, dass wir ihn freilassen«, erwiderte Dr. Seward mit verwirrtem Kopfschütteln. »Ihn jetzt sofort laufenlassen.«
»Um drei Uhr morgens?«, fragte ich verdutzt. »Aber warum?«
»Er wollte es uns nicht sagen«, erwiderte Lord Godalming.
»Er hat einfach immer wieder beteuert, dass er fort müsse oder es wäre sein Verderben. Er schien vor irgendetwas große Angst
zu haben.«
»Abgesehen von diesem letzten hysterischen Anfall ist er weitaus der vernünftigste Irre, dem ich je begegnet bin«, |268| meinte Herr Morris. »Ich weiß es nicht mit Sicherheit, aber ich vermute, dass er irgendeine ernstliche Absicht hatte.«
»Ich würde Ihnen zustimmen«, erwiderte Dr. Seward, »wenn ich mich nicht daran erinnerte, dass er fast mit der gleichen Leidenschaft
einmal um eine Katze gebeten hat, die er zweifellos auf der Stelle verschlungen hätte. Dieser Wandel ist nur eine andere Form
oder Phase seines Wahns. Ich könnte ihn guten Gewissens nicht in dieser Gegend auf freien Fuß setzen, weder jetzt oder zu
irgendeiner anderen Stunde.«
»Außerdem nannte er den Grafen seinen ›Herrn und Meister‹«, betonte Jonathan. »Wer weiß, ob er nicht deshalb so dringend fort
wollte, um ihm auf seinen verruchten Pfaden zu helfen.«
»Diese scheußliche Kreatur hat Wölfe und Ratten in ihrer Gewalt. Es sieht dem Grafen durchaus ähnlich, wenn er sich für seine
Zwecke auch eines Irren bedient«, stimmte ihm Dr. Seward mit einem tiefen Seufzer zu. »Nun lassen Sie uns gehen. Wir haben
noch eine Aufgabe zu erledigen.«
Nachdem die Männer gegangen waren, schlüpfte ich in mein Nachthemd, bürstete mir das Haar und ging zu Bett. Ich löschte das
Gaslicht nicht, sondern drehte es nur herunter, um Jonathans Rückkehr zu erwarten.
Ich konnte nicht schlafen. Als könnte eine Frau schlafen, wenn sie wusste, dass ihr Mann und so viele tapfere Seelen sich
in Gefahr begaben! Ich lag im Bett und dachte über alles nach, was bisher geschehen war, auch über das Schicksal der armen
Lucy. Oh! Wäre ich nur nicht nach Whitby gereist, hätte nie mit Lucy diesen Kirchhof auf der Klippe besucht, dann hätte Lucy
vielleicht nicht mit dem Nachtwandeln wieder angefangen, und dieses Scheusal hätte sie nicht zu Grunde richten können. Ich
vergoss bittere Tränen um meine liebe, verstorbene Freundin und tadelte mich dann, dass ich geweint hatte. Wenn Jonathan von
diesen Tränen erführe, würde er sich unendlich sorgen.
|269| Plötzlich hörte ich Hunde bellen, danach merkwürdige, beinahe aufgeregte Laute von Herrn Renfields Zelle her, die ein Stockwerk
unter meinem Zimmer lag. Darauf folgte ein gespenstisches Schweigen. Ich erhob mich, ging zu der hohen Fenstertür und schaute
über den schmalen Balkon hinweg auf den Park. Draußen war alles dunkel. Nichts schien sich zu regen.
Dann wurde ich in den Schatten, die das Mondlicht auf das Gras warf, eines dünnen Streifens
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