Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dracula, my love - das geheime Tagebuch der Mina Harker

Dracula, my love - das geheime Tagebuch der Mina Harker

Titel: Dracula, my love - das geheime Tagebuch der Mina Harker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Syrie James
Vom Netzwerk:
geschrieben
     und nahm mir das Versprechen ab, ihn dem Leiter des Waisenhauses zu geben, der ihn erst nach Ihrem achtzehnten Geburtstag
     an Sie weiterreichen sollte.«
    Mein Herz begann wie wild zu hämmern. »Wann war das?«
    »Sie mögen damals wohl sechs oder sieben Jahre alt gewesen sein, wenn ich mich nicht irre.«
    »Wer hat diesen Brief gebracht? War es meine Mutter? Was stand darin?«
    Nun senkte die alte Frau die Augen, und ihr verstohlener |155| Blick verriet mir, dass sie den Brief gelesen hatte, ehe sie ihn dem Leiter des Waisenhauses überbracht hatte. Wenn sie ihn
     denn wirklich überbracht hatte. »Das kann ich Ihnen nicht sagen, Madam. Seltsam, dass Herr Howell Ihnen das Schreiben nie
     geschickt hat, nachdem Sie volljährig waren. Er wird es wohl einfach vergessen haben.«
    Ich war wie benommen und gleichzeitig höchst erregt über diese Nachricht. Es war die erste Information, die ich je über meine
     Mutter gehört hatte, seit jener Bemerkung über ihre Verfehlung, die mich als Kind so entsetzt hatte. Doch nun machte mich
     die Neuigkeit traurig, dass sie kränklich gewesen war. Wir verabschiedeten uns von Frau Pringle und suchten den neuen Direktor
     der Einrichtung auf. Er war ein schnurrbärtiger, sehr beschäftigt wirkender Mann, der meinte, er wisse nichts von einem an
     mich adressierten Brief, würde diesen aber, falls er ihm je in die Hände geriete, gern weiterleiten. Ich gab ihm meine Adresse
     in Exeter, und wir verabschiedeten uns.
    »O Jonathan!«, rief ich, als wir wieder auf der Straße waren, »kannst du dir das vorstellen? Ein Brief an mich, vielleicht
     von meiner Mutter!«
    »Ich hoffe, er findet ihn. Aber freu dich nicht zu früh, meine Liebe. Vielleicht hat man ihn schon längst weggeworfen.«
    »Trotzdem. Zu wissen, dass sie an mich gedacht hat, als ich sechs oder sieben Jahre alt war! Dass sie mir etwas mitteilten
     wollte! Irgendwie fühle ich mich deswegen viel besser.«
    Es war inzwischen Nachmittag geworden. Beim Mittagessen in einem Café ergingen wir uns in weiteren glücklichen Kindheitserinnerungen.
     Jonathan schlug vor, dem Waisenhaus mit einer Spende aus seinem neu ererbten Vermögen zu helfen, und ich pflichtete ihm bei.
     Wir überlegten, was wir in den wenigen Stunden machen sollten, die uns noch in London verblieben, ehe wir in den Zug nach
     Exeter steigen müssten. Ich wollte Lucy und ihrer Mutter einen Besuch abstatten, um mich zu versichern, dass es ihnen gutging.
     Doch Jonathan |156| meinte, dazu hätten wir nicht genügend Zeit, da Hillingham am anderen Ende der Stadt läge.
    Stattdessen fuhren wir mit einem Omnibus zum Hyde Park Corner und spazierten den Piccadilly hinunter, was wir schon immer
     sehr genossen hatten. Arm in Arm schlenderten wir die geschäftige Straße entlang, betrachteten die vielen Menschen, die Läden
     und die eleganten Wohnhäuser. Vor Giulianos Juweliergeschäft im Haus Piccadilly Nr. 115 fiel mir eine wunderschöne junge Frau
     auf, die einen mächtigen Rembrandthut trug und in einer neuen und sehr teuer aussehenden offenen Kutsche saß. Ich sann vor
     mich hin, wer sie wohl sein mochte. Zweifellos eine wichtige Kundin, überlegte ich, die darauf wartete, dass ihr ein edles
     Schmuckstück geliefert würde. Da umklammerte Jonathan plötzlich meinen Arm so fest, dass ich vor Schmerz aufschrie.
    Er flüsterte: »Mein Gott!«
    »Was ist?«
    »Sieh nur!«, rief Jonathan. Sein Gesicht war sehr blass, und in seinen weit aufgerissenen Augen spiegelten sich Angst und
     Verwirrung.
    Ich folgte seinem Blick. Er starrte einen Mann an, der, ein wenig von uns abgewandt, ganz in unserer Nähe stand. Die Aufmerksamkeit
     dieses Herren war völlig auf die hübsche junge Frau in der Kutsche konzentriert. Als ich den Mann ansah, überkam mich ein
     seltsames Gefühl. Meine Hände wurden feucht, mein Herz begann zu rasen, und ich zitterte. Der Mann war hoch aufgeschossen,
     schmal und ganz in Schwarz gekleidet. Er hatte schwarzes Haar und einen schwarzen Bart. Und er besaß eine frappierende Ähnlichkeit
     mit Herrn Wagner! Aber ich wusste, dass der es nicht sein konnte, denn dieser Herr schien mindestens fünfzig Jahre alt zu
     sein, gute zwanzig Jahre älter als der Herr, den ich aus Whitby kannte. Er trug einen kurzen Spitzbart, und sein Gesicht wirkte
     hart und grausam.
    »Erkennst du, wer das ist?«, fragte Jonathan entsetzt und hielt immer noch ängstlich meinen Arm umklammert.
    |157| Mit äußerster Mühe gelang es mir, ruhig zu

Weitere Kostenlose Bücher